Naschpflanzen, Kletterbäume und Lagerfeuer: Das naturnahe Außengelände der bayerischen Kita „Naturkinder St. Georg“ bietet den Kindern vielfältige Möglichkeiten, sich auszuprobieren. Davon profitieren auch die pädagogischen Fachkräfte.
Außengelände der Kita "Naturkinder St, Georg" im bayrischen Pöring.

Am großen Blecheimer herrscht reger Betrieb. „Zoe, Zoe, wir brauchen mehr!“, ruft ein kleiner Junge, während er seine Gießkanne an der Wasserstelle füllt. Dann flitzt er zurück zum Sand. Hier werden derweil Dämme aus Matsch errichtet. Die Kinder der Kita „Naturkinder St. Georg“ sind heute draußen – wie eigentlich jeden Tag. Kein Wunder, das Außengelände der Einrichtung im bayerischen Pöring ist etwas ganz Besonderes. Auf insgesamt 3.500 Quadratmetern – das entspricht etwa der Fläche von einem Fußballfeld – wurde ein naturnahes und abwechslungsreiches Gelände angelegt.

Der Sandbereich am Fuß eines kleinen Hügels gehört zum großen Außengelände der Kindergarten- und Hortkinder. Die Krippenkinder haben einen eigenen Bereich. Außerdem gibt es einen Nutzgarten, in dem die Kinder mit Hilfe der Erzieherinnen und Erzieher Radieschen sähen, Salatköpfe gießen oder Kartoffeln ernten. Insgesamt besuchen 124 Kinder im Alter von zwölf Monaten bis zehn Jahren die Einrichtung.

Die Kinder erleben fantasievolle Dinge in einem geschützten Raum.

KURZ GESAGT!

  • Natur spricht alle Sinne der Kinder an
  • Tipi, Stämme oder Findlinge als Spielgeräte
  • Kinder können ihre Grenzen testen und stark werden
  • Mehr Möglichkeiten für freies Spiel – weniger Konflikte

 

Alte Bäume spenden Schatten

Klassische Spielgeräte sind im Bereich der Großen die Ausnahme. Die Jungen und Mädchen klettern auf Bäume, reiten auf einem mit bunten Mosaiksteinen verzierten Steindrachen, spielen im großen Tipi Indianer oder lauschen am flackernden Lagerfeuer einem Märchen. „Die Kinder dürfen in einem geschützten Raum abenteuerliche und fantasievolle Dinge erleben“, sagt Gaby Lindinger, Leiterin der Kita. Ihr ist wichtig, dass die Kinder in der Natur mit allen Sinnen angesprochen werden.

Das Gelände ist in verschiedene Bereiche gegliedert, die durch Büsche voneinander abgetrennt sind. Schatten spenden vor allem große alte Bäume. Überall wachsen Naschpflanzen und duftende Kräuter. Einen freien Blick auf alle Kinder haben die Erzieherinnen und Erzieher bei Weitem nicht. „Das ist gewollt. Ich muss das als Erzieherin akzeptieren können“, sagt Gaby Lindinger. Zum pädagogischen Konzept der Kita gehört, dass die Kinder sich den Blicken der Erwachsenen entziehen und eigene Erfahrungen sammeln können. „Wir bieten mehr Möglichkeiten als Vorschriften.“ Die Kinder sollen ihre Grenzen austesten können und dabei stark und selbstbewusst werden. Die pädagogischen Fachkräfte der Einrichtung verstehen sich als Begleiter. Sie unterstützen die Kinder, wenn diese Hilfe brauchen.

 

SCHRITT FÜR SCHRITT ZUM NATÜRLICHEN UND SICHEREN AUSSENGELÄNDE

  • Vorab beraten lassen: beispielsweise durch eine Fachkraft für Arbeitssicherheit des Kita-Betreibers, Naturschutzbund, Natur-Fachplaner mit Erfahrung im Kitabereich
  • Zum Thema Sicherheit und Gesundheit beraten die Aufsichtspersonen der Unfallkassen
  • Möglichkeiten der Partizipation nutzen: Kinder befragen sowie Hausmeister, Mitarbeiter des Bauhofs und Eltern einbeziehen
  • Sponsoren suchen: beispielsweise Banken, Unternehmen aus der Region, regionale Fördertöpfe
  • Mitmachaktionen beim Bau: Eltern einbeziehen, lokale ehrenamtliche Aktionen wie Freiwilligentag nutzen

 

Die Sicherheit in dem naturnahen Außengelände wurde von Anfang an berücksichtigt. Wie bei den großen Findlingen am Rand des Sandbereichs. „Diese Steine eignen sich unter Sicherheitsaspekten hervorragend für Kitas“, sagt Holger Baumann, Aufsichtsperson der Kommunalen Unfallversicherung Bayern. Sie können gut beklettert werden – durch die runde Form ist die Verletzungsgefahr gering. Allerdings muss für dauerhafte Standsicherheit gesorgt werden – indem die großen Steine gegen Umfallen gesichert sind und daher gut befestigt, eingegraben oder auf ein Fundament gesetzt werden.

Die Bäume und Büsche werden regelmäßig gepflegt. „Weiden wachsen zum Beispiel sehr schnell und neigen dazu, zu verholzen: Bei falscher Schnitttechnik können sich gefährlich spitze Enden bilden“, erklärt Holger Baumann. „Sie sollten ebenso wie Ziersträucher nur mit Baum- oder Gartenscheren einzeln in Verzweigungen geschnitten werden.“ Eine Alternative zum Rückschnitt stellt das Einflechten langer Triebe in das vorhandene Weidenbauwerk dar. Außerdem muss auf eine kindgerechte Bepflanzung geachtet werden.

Tiere in die Hand nehmen und die Lebendigkeit spüren, ist wichtig. Die Kinder lernen Empathie.

Auch bei den individuell gestalteten Spielgeräten müssen Sicherheitsaspekte beachtet werden. „Bei dem bunten Drachen wurde genau darauf geachtet, dass keine Spitzen der Mosaiksteine herausschauen und alles gut verfugt ist“, erklärt die Aufsichtsperson. Natürlich muss das Kunstwerk auch intensiven Frost aushalten, sonst kann es zu scharfkantigen Abplatzungen kommen. Aspekte wie hindernisfreie Fallräume und ausreichend stoßdämpfende Böden wurden selbstverständlich überall berücksichtigt. Hier sind die Standards der Normen für Spielplatzgeräte sinngemäß anzuwenden. Nach der Fertig stellung neuer Geräte müssen diese durch Sachkundige geprüft werden. Außerdem wird der gesamte Außenspielbereich regelmäßig durch externe Spielplatzprüfer überprüft und bei Bedarf in Stand gehalten.

Das Wir-Gefühl stärken

Partizipation ist ein weiteres Thema, das bei der Gestaltung des Außengeländes eine wichtige Rolle spielt. Zu den neueren Elementen gehört ein Kletterparcours für die Hortkinder. „Wir haben zuerst mit den Kindern besprochen, was sie sich wünschen“, erzählt Gaby Lindinger. Aus deren Ideen wurde dann gemeinsam mit einem Schreiner das Gebilde aus Seilen, Kletter- und Balancierstämmen entwickelt. Beim Bau wiederum waren die Eltern mit dabei. „Dadurch wird das Wir-Gefühl gestärkt. Eltern und Kinder erleben diese Kita als ihre Kita“, beschreibt die Leiterin. „Sie sind stolz auf das Gebaute und fühlen sich verantwortlich.“

Nur wenig Verletzungen

Natürlich werden mit den Kindern auch immer wieder die Regeln besprochen. Auf welchen Baum darf ich klettern und wie hoch? Welche Früchte kann ich essen? Und wie gehe ich mit Käfern oder Ameisen um? Umwelterziehung beinhaltet auch den achtsamen Umgang mit Pflanzen und Tieren. „Die Kinder lernen Empathie. In die Hand nehmen und die Lebendigkeit spüren, ist wichtig.“

Durchs ganze Gelände ziehen sich verschlungene Pfade. Gerade starten zwei Mädchen zu einem atemlosen Rennen: den Hügel hinab, durch den Röhrentunnel, dann die Stein stufen hinauf und zurück zur Wasserpumpe. „Die Sturzgefahr bei geraden Wegen ist viel größer, weil die Kinder blindlings rennen“, sagt die Kita- Leiterin. „Bei uns müssen sie die Augen offen halten. Sie achten darauf, was auf dem Weg liegt.“ Entsprechend gibt es kaum Verletzungen. „Höchstens mal ein aufgeschlagenes Knie oder einen blauen Fleck.“

Rückzugsmöglichkeiten bieten

Auch im Hinblick auf lange Betreuungszeiten spielt das Außengelände eine wichtige Rolle. „Die Kinder brauchen dann Rückzugsräume und die finden sie hier im Garten“, sagt Gaby Lindinger. Kinder und pädagogische Fachkräfte profitieren außerdem von dem niedrigeren Lärmpegel im Freien. Es gibt mehr Platz, mehr Möglichkeiten, freie Spiele zu entwickeln – und sich auch mal aus dem Weg zu gehen. Dadurch entstehen weniger Konflikte.

Wie kommt eine Kita zu einem solch vielfältigen Gelände? „Das geht nur schrittweise. Sonst wäre das nicht zu schaffen“, sagt die Pädagogin. Weder finanziell noch hinsichtlich des Arbeitsaufwands. Der Außenbereich der „Naturkinder St. Georg“ ist im Laufe von 30 Jahren entstanden. Auch heute noch gibt es Bereiche, die nicht fertig sind und weiterentwickelt werden. „Kitas mit kleinerem Außengelände können sich einzelne Elemente abschauen“, empfiehlt Gaby Lindinger: große Baumstämme zum Balancieren oder kleine Hochbeete, die von den Kindern bepflanzt werden.

Hinter dem Sandbereich hat sich ein Mädchen in eine Schubkarre gelegt. Selbstvergessen liegt sie da, den Blick in Richtung Baumwipfel. „Sie ist ganz im Hier und Jetzt“, sagt Gaby Lindinger. „Ich glaube, sie ist glücklich.“

 

WEITERE INFORMATIONEN

Onlineportal der Unfallkasse NRW zum sicheren Außengelände:
www.sichere-kita.de

Die Broschüren „Naturnahe Spielräume“ sowie
„Außenspielflächen und Spielplatzgeräte“ sind unter
www.dguv.de > Webcode: d40086 zu finden.

Broschüre „Außengelände für Krippenkinder“ mit Informationen zur kindgerechten Bepflanzung unter: www.kita.ukh.de > Webcode: K676

Beratungsmappe „Natur rund um den Kinder-Garten“ mit Infos
zum naturnahen Außengelände. Kostenloser Download unter: www.nrw-stiftung.de, Suchbegriff: „Beratungsmappe“

Homepage des Vereins NaturGarten e. V. mit Infos zur naturnahen Gestaltung und Mitgliedsbetrieben: www.naturgarten.org

 

FACHTAGUNG
„Planung, Bau und Nutzung von naturnahen Spielräumen“ in der Kita „Naturkinder St. Georg“ Pöring, Veranstaltungstermin ist voraussichtlich Anfang Mai 2019, Organisator ist die „Bayerische Akademie Natur und Landschaftspflege. Mehr Infos und Anmeldung: www.anl.bayern.de > Veranstaltungen

BUCH
„Unser Kita-Garten – Naturnahe Spielräume gestalten“ von
Gaby Lindinger, Herder Verlag, 20 Euro, ISBN 978-3-451-37956-7.

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