Es wird nicht nur wärmer

KURZ GESAGT!

_Auch Kitas müssen sich den Herausforderungen stellen, die der Klimawandel mit sich bringt

_Technische und organisatorische Maßnahmen können Belastungen durch Hitze reduzieren

_Mentale Gesundheit stärken: Wir sind nicht hilflos!

Der Klimawandel ist längst Realität – einige Folgen sind deutlich sicht- und spürbar: Die Sommer sind heißer, Extremwetterlagen nehmen zu, Allergiegeplagte stöhnen schon im Januar, denn die Pollensaison beginnt früher und dauert länger. Andere Auswirkungen sind weniger offensicht-lich. So nehmen die Luftschadstoffe (etwa bodennahes Ozon) zu und wir bekommen es zunehmend mit für unsere Breiten ungewohnten Krankheiten zu tun, die durch Mücken oder andere Tiere hervorgerufen werden. Dies sind Herausforderungen, denen sich auch Kitas stellen müssen.

Quasi symbolisch für den Klimawandel steht für den Präventionsexperten der Unfallkasse Nord, Thorsten Vent, die Ausbreitung des Eichenprozessionsspinners. Dieser kleine, unauffällig braune Falter liebt eigentlich wärmere Gefilde, kommt nun aber auch in Norddeutschland vor. Problematisch sind weniger die Falter – die Raupen allerdings sind mit feinsten, giftigen Härchen besetzt, die schwere allergische Reaktionen auslösen können. „Wenn die Raupen in Eichen auf einem Kitagelände sitzen, dürfen die Kinder nicht nach draußen, bevor die Tiere restlos entfernt sind“, klärt Thorsten Vent über die Konsequenzen auf. „Die Nester müssen von speziell ausgebildeten Fachleuten komplett entfernt werden, meistens geschieht das mit einem Spezialsauger.“ Problematisch ist, dass sich die Haare in einem großen Umkreis um das Gespinst befinden können und auch noch monate- bis jahrelang eine potenzielle Gefahrenquelle darstellen. In den südlichen Bundesländern, wo man schon seit einigen Jahren Erfahrung mit den Tieren hat, setzt man eshalb vermehrt auf Prävention: Eichen werden mit einem biologischen Insektenbekämpfungsmittel behandelt, das gezielt die Eier und Raupen bekämpft.

Allergien, neue Krankheiten, Hitze

Nicht nur Raupenhaare sind problematisch. Dr. Julia Schoierer ist Medizinpädagogin am Klinikum der LMU in München und der Agentur ecolo in Bremen und beschäftigt sich seit vielen Jahren mit den Folgen des Klimawandels auf verschiedene Personengruppen. Sie macht deutlich: „Die gesamte Allergiesaison hat sich verlängert, außerdem breiten sich Pflanzenarten wie Ambrosia aus, die ein extrem hohes Allergiepotenzial haben. Wir beobachten auch bereits im Januar, Februar erste durch Zecken hervorgerufene FSME-Fälle, sogar im Norden Deutschlands.“ Auch hier verschieben sich die Verbreitungsgebiete. Sie warnt: „Wir müssen sogar damit rechnen, dass mittelfristig Krankheiten wie das Denguefieber deutlich zunehmen werden.“ Der Erreger des Denguefiebers wird durch Mücken übertragen.

Das derzeit drängendste Problem für Kitas sieht die Expertin allerdings in der zunehmenden Hitze. „Das betrifft sowohl die Kinder als auch die Beschäftigten – wobei natürlich Kinder deutlich vulnerabler sind.“ Vulnerabler, also verletzlicher und empfindlicher gegenüber starker Hitze sind Kinder, weil unter anderem ihre Temperaturregulation noch nicht so gut funktioniert wie die von Erwachsenen (siehe KinderKinder 2/24). Hitzeschutzkonzepte sind deshalb unerlässlich – und gleichzeitig schwierig umzusetzen, da wenig Spielraum besteht, was die Verschiebung von Aktivitäten in weniger heiße Tageszeiten angeht. Man kann den Kindern das Toben um die Mittagszeit kaum verbieten. „Aber man kann beispielsweise in einen Park mit großem Baumbestand ausweichen, also ins Grüne gehen, und den kühlen Schatten abseits von größeren Straßen aufsuchen“, schlägt Dr. Schoierer vor. Und selbstverständlich sind Kitaträger gefordert, mit technischen und organisatorischen Maßnahmen Hitzebelastungen vorzubeugen. Als Grundlage dafür sollte eine Gefährdungsbeurteilung herangezogen werden und die Kitas sollten Hitzeschutzkonzepte erstellen.

Mentale Gesundheit nicht außer Acht lassen

Neben all den sicht- und spürbaren Risiken durch die Folgen der zunehmenden Erderwärmung bringt die Medizinpädagogin einen weiteren Aspekt ins Gespräch: „Wir übersehen häufig, dass wir auch die mentale Gesundheit der Kinder im Blick behalten müssen.“ Tatsächlich gibt es inzwischen das Phänomen der „Klimaangst“. „Manche Kinder haben bereits Überschwemmungen erlebt oder zumindest davon gehört. Viele kennen heftige, ja extreme Wetterlagen. Das kann durchaus traumatisieren“, erklärt Julia Schoierer. „Aber es gibt auch eine diffuse Unsicherheit oder Angst, dass den Erwachsenen die Kontrolle entgleitet. Das kann sich an Fragen zeigen, ob bald alle Eisbären sterben müssen.“

Deshalb sei es wichtig, dass Erwachsene darauf achten, wie sie mit Kindern über die Klimakrise sprechen und wie sie das Thema einordnen. Es mache einen Unterschied, ob eine Erzieherin ein Katastrophenszenario zeichne oder aber dem Ohnmachtsgefühl, das durchaus zulässig sei, Zuversicht entgegensetze: „Ja, es wird sich etwas verändern, aber wir können uns anpassen und wir sind nicht hilflos.“ Deutlich könne das in der Kita etwa durch Projekte und Aktionen werden, die konkrete Handlungsmöglichkeiten aufzeigen – zur Klimaanpassung, aber auch zum Klimaschutz. Und die sind vielfältig: Müll vermeiden, Upcyclingprojekte, Blühwiesen für Insekten einrichten – oder aber auch organisatorisch-konzeptionell, indem etwa Speisepläne, Energieverbrauch und der Umgang mit Ressourcen genauer unter die Lupe genommen werden. „Kitas können auch Fahrradständer aufstellen und Familien so ermutigen, sich mit dem Rad auf den Weg zur Kita zu machen. Oder bei Kitafesten auf Einmal-Geschirr verzichten.“

Klimawandel-Ängste

Warum ist es wichtig, dass sich Kitas auch mit den psychischen Folgen des Klimawandels auseinandersetzen?

Kinder lernen gerade erst, sich selbst zu regulieren. Sie brauchen also Erwachsene, die ihnen bei der Benennung und Verarbeitung von Gefühlen helfen. Deshalb ist es wichtig, dass sich Kitas damit beschäftigen, wie es Kindern im Zusammenhang mit dem Klimawandel geht.

Machen sich Kitakinder denn überhaupt schon Gedanken darüber?

Das hängt davon ab, wie viel sie von ihrem Umfeld mitbekommen, also ob sie zum Beispiel mit ihren Eltern Kinderbücher zum Thema lesen oder ob sie gemeinsam Bildungsformate ansehen, die Umweltzerstörung und Tierschutz behandeln. Sie nehmen aber auch wahr, wenn Erwachsene in ihrem Umfeld belastet sind. Kinder bekommen also bereits mit, dass Klimawandel unangenehm und gefährlich ist – wenngleich nicht auf dem Abstraktionslevel von Erwachsenen.

Wie zeigen sich diese Ängste und Sorgen?

Das kindliche Gehirn macht sich vereinfachte Vorstellungen von abstrakten Themen. Wenn sich die Kinder Erderwärmung erklären wollen, stellen sie sich vielleicht vor, dass die Erde schmilzt. Auf jeden Fall merken sie aber, dass etwas mit der Umwelt nicht in Ordnung ist, und machen sich Gedanken über andere Kinder oder über Tiere. Dann fragen sie schon mal: Warum geht es den Eisbären nicht gut? Sterben die Schmetterlinge aus? Mit diesen Gefühlen kommen sie in die Kita. Und dann ist es gut, wenn man weiß, wie man das auffangen kann.

Was ist dabei zu beachten?

Vor allem jüngere Kinder beziehen viel auf sich. Sie verarbeiten Dinge wie die Umweltverschmutzung schuldhaft und fühlen sich verantwortlich: Was habe ich falsch gemacht? Es ist wichtig, ihnen zu vermitteln, dass sie nicht daran schuld sind, dass es den Eisbären schlecht geht. Und dass sie auch nicht dafür verantwortlich sind, die Eisbären zu retten. Das ist die Aufgabe von uns Erwachsenen.

Wie gehen pädagogische Fachkräfte am besten dabei vor?

Den Fokus der Kinder auf die eigenen Handlungen können die Fachkräfte positiv nutzen. Kinder erleben auch mit kleinen Beiträgen viel Selbstwirksamkeit, wenn sie zum Beispiel bei Projekten Müll trennen oder Insektenhotels bauen. Das hilft ihnen beim Umgang mit ihren Gefühlen, weil sie merken, dass sie etwas zur Lösung beitragen
können.

Wie erlangen Fachkräfte im Umgang mit dem Thema Sicherheit?

Viele Kompetenzen, die es im Umgang mit dem Klimawandel braucht, bringen die Fachkräfte den Kindern ohnehin bei. Da geht es um lösungsorientiertes Denken. Einfache Beispiele: Kinder lernen, an heißen Tagen besonders viel zu trinken, sich mit Sonnenschutz einzucremen, sich im Schatten und nicht zu lange in der Hitze aufzuhalten. Oder es geht um den Umgang mit Gefühlen. Um beim Eisbär-Beispiel zu bleiben: Die Kinder müssen sich verstanden fühlen, es muss nicht immer eine Lösung geben. Das gelingt, indem man ihnen zeigt, dass man ihre Eindrücke und Sorgen nachvollziehen kann: „Ja, es ist wirklich doof, dass es den Eisbären nicht so gut geht.“

Für die Fachkräfte selbst kann der Klimawandel auch mit Unsicherheiten verbunden sein.

Wir als Erwachsene müssen uns erst einmal selbst darüber klar werden, was das Thema mit uns macht, damit wir den Kindern einen stützenden Rahmen bieten können. Wir müssen unsere eigenen Klimagefühle sortieren, Klimatrauer verarbeiten und mit Klimaangst umgehen, damit wir nicht überfordert sind, wenn Kinder das Thema ansprechen.

Das ist wahrscheinlich einfacher gesagt als getan. Wie gelingt es mir, mit dem Thema selbst gut umzugehen?

Wir wissen, dass es bei globalen Krisen in Bezug auf das eigene Ohnmachtserleben hilft, wieder handlungsfähig zu werden. Für Fachkräfte kann das im Kleinen bedeuten, mit den Kindern ein Insektenhotel zu bauen. Das hält zwar das Artensterben nicht auf, aber es ist mein Beitrag und passt zu meinen Werten. Erwachsene haben außerdem die Fähigkeit zum abstrakten Denken. Ich kann auf der kollektiven Ebene denken und verstehe deshalb auch, dass die Welt nicht davon gerettet ist, dass ich auf mein Schnitzel verzichte. Also schaue ich auf der systemischen, auf der gesellschaftlichen Ebene, wie ich meinen Teil dazu beitragen kann, positive Veränderungen zu bewirken. Das kann in der Kita zum Beispiel darin bestehen, der Kitaleitung oder dem Träger das Programm Bildung für nachhaltige Entwicklung – kurz: BNE – näherzubringen und es in der Kita einzuführen.

Das setzt viel Engagement voraus. Nicht alle können diese Energie aufbringen.

Wir müssen unsere eigenen Grenzen anerkennen. Manchmal sind die kleinen Alltagssorgen wichtiger als globale Probleme. Also ganz banal: Erst kaufe ich ein und koche mir etwas; wenn ich dann noch Zeit und Energie habe, engagiere ich mich für den Klimaschutz. Man muss die Balance finden zwischen kollektiver Wirksamkeit und Selbstfürsorge, ansonsten hält man es langfristig nicht durch. Hinzu kommt, dass ich lernen muss, Dinge zu akzeptieren, die ich nicht ändern kann. Bei der Verarbeitung ist es hilfreich, darüber zu sprechen und sich verstanden zu fühlen. Mit den Klimawandel-Ängsten verhält es sich so ähnlich wie bei Liebeskummer: Man muss da halt durch.

Was kann ich tun, wenn Kolleginnen und Kollegen den Klimawandel nicht ernst nehmen und Gespräche deshalb schwierig sind?

Die Menschen dürfen nicht den Eindruck haben, dass man ihnen Schuldgefühle machen will oder ihnen etwas vorschreiben möchte. Darauf reagieren sie reaktant: Sie reagieren also trotzig, weil sie sich in ihrer Freiheit eingeschränkt fühlen. Es geht darum, nicht moralisierend aufzutreten, sondern offen zu sein und mit einer neugierigen Haltung zu versuchen, den Standpunkt und Werte der anderen Person zu verstehen. Dann lassen sich Argumente finden, warum dem Gegenüber Klimaschutz wichtig sein sollte – sei es aus Gründen des Gesundheitsschutzes, des Gerechtigkeitsempfindens oder der wirtschaftlichen Stabilität des Landes. Es gibt auch Menschen, die bei dem Thema überreagieren oder gar nicht mehr zuhören. Dann ist es sinnvoll, das Wort „Klima“ zu vermeiden: „Findest du nicht, dass unser Außengelände mit Begrünung und einem Insektenhotel schöner aussehen würde?“

Haben Sie Tipps für Kitas, die sich mit dem Klimawandel auseinandersetzen wollen?

Die Bewegung „Parents for Future“ hat sich das „Klimamonster Kit“ ausgedacht. Auf dieser Webseite sind viele Ideen für Projekte und Materialien wie Bücher zusammengestellt, mit denen auch Fachkräfte in Kitas arbeiten können. Es gibt auch ein Klima-Projekt ganz konkret für Kitas, den Klimafuchs.

Die Fragen stellte Holger Toth