Studie zeigt: Rund ein Drittel der Erzieherinnen und Erzieher stark belastet

Mengenmäßige Überforderung: So beschreiben mehr als jeder dritte Erzieherin und mehr als jeder dritte Erzieher (37 Prozent) ihren Beruf. Grund dafür sind weniger ein starker Termin- oder Leistungsdruck, sondern vielmehr Belastungsschwerpunkte durch Lärm und Infektionen. Dazu kommt der geringe Einfluss auf die Einteilung ihrer Arbeit und mangelnde Unterstützung und Anerkennung von Vorgesetzten. Auswirken tut sich das besonders auf die Gesundheit der pädagogischen Fachkräfte: 18 Prozent der Befragten beschreiben laut der BAuA-Studie ihren Gesundheitszustand als weniger gut bis schlecht. Das führt sogar so weit, dass auch das Präsentismus-Verhalten, also das Arbeiten trotz Krankheit, bei Erzieherinnen und Erziehern weit verbreitet ist. Im Schnitt gehen die pädagogischen Fachkräfte an 16 Tagen krank zur Arbeit. Bei anderen Beschäftigten liegt die Anzahl bei 12 Tagen Arbeit trotz Krankheit. Mehr Informationen stellt die BAuA im Faktenblatt „Erzieherinnen und Erzieher in Deutschland: hohe Arbeitsanforderungen und häufig krank“ zum Download zur Verfügung.

Aber wie hoch ist die individuelle psychische Belastung von Erzieherinnen und Erziehern in der eigenen Einrichtung? Mit der richtigen Handlungshilfe können Kitaleitungen diese Frage für sich beantworten: Gefährdungsbeurteilungen (GBU) helfen, die Belastung der Beschäftigten zu erfassen, einzuordnen und anzugehen. In sieben Schritten kann eine Gefährdungsbeurteilung die psychischen Belastungen ermitteln – wie dies aussehen kann, lesen Sie im KinderKinder-Beitrag: „Wie Sie psychischen Belastungen entgegenwirken.“

Weiterhin ist es wichtig, die Erzieherinnen und Erzieher darin zu unterstützen, ihren täglichen Belastungen zu begegnen. Dafür braucht es vor allem Widerstandskraft und Resilienz. Der KinderKinder-Artikel „Wie aus Belastungen Herausforderungen werden“ gibt konkrete Hilfestellungen, wie pädagogische Fachkräfte Resilienz aufbauen und ihre Herausforderungen meistern können.

Rollenklarheit und Transparenz sind Schlüsselfaktoren

Frau Dr. Gregersen, warum reicht es nicht aus, wenn Kitaleitungen oder Kitaträger den Beschäftigten zum Beispiel Zuschüsse zu Fitnesskursen gewähren und das Thema Gesundheit damit abhaken?

Die Einflussfaktoren auf die Gesundheit sind vielfältig. Es ist mehrfach belegt, dass die Gesundheit der Beschäftigten in Zusammenhang mit ihrer Arbeit steht. Natürlich ist „Arbeit“ nur ein Faktor unter mehreren, aber durchaus ein zentraler. Führungskräfte sind Gestalter von Arbeitsbedingungen und stellen selbst eine Arbeitsbedingung dar. Letztlich kann eine Führungskraft auch nur an dieser Stelle Einfluss nehmen; sie sollte diese Chance und ihren Spielraum auf jeden Fall nutzen. Es geht also darum, im Hinblick auf Gesundheit diejenigen Aspekte, die sich gestalten lassen, positiv zu gestalten. 

Das klingt einleuchtend. Worin bestehen die Schwierigkeiten in der Umsetzung dieses Gedankens?

Es ist gut möglich, dass Personen mit Leitungsfunktion in einem Rollenkonflikt stecken: Sie sind nicht mehr Teil des normalen Kitateams, fühlen sich aber auch in ihrer Führungsposition nicht zu Hause. Das bringt Herausforderungen mit sich, die diese neuen Führungskräfte annehmen und akzeptieren müssen. Um diese Rolle auszufüllen, sind oft weitere und andere Qualifikationen notwendig. Zudem ist die Situation in den Kitas selbst schwierig, wenn man den Fachkräftemangel, die Pandemiefolgen sowie die gestiegenen Erwartungen der Politik und nicht zuletzt der Eltern an die Fachkräfte bedenkt. Das sind viele Baustellen, um die sich eine Kitaleitung kümmern muss. 

Sind Kitaleitungen demnach stärker belastet als die übrigen pädagogischen Fachkräfte, weil zu den ohnehin bestehenden Belastungen noch der Rollenkonflikt hinzukommt?

Ganz allgemein stehen Führungskräfte unter einem erhöhten Zeitdruck und haben eine höhere Arbeitsintensität als die Beschäftigten ohne Leitungsfunktion. Das ist ein Stressor. Auf die positive Seite zahlt ein, dass sie mehr Spielraum haben und eigene Prioritäten setzen können, etwa den Ablauf ihres Arbeitstages freier gestalten können. Wir wissen allerdings, dass die Balance zwischen Stressoren und Ressourcen bei vielen Kitaleitungen nicht stimmt. Sie befinden sich oft in einer Zwickmühle, da sie häufig nicht ausreichend Zeitressourcen für ihre Leitungsaufgaben zur Verfügung gestellt bekommen, zudem im Gruppendienst tätig sind und auch die durch den Träger an sie herangetragenen Aufgaben bewältigen müssen. Da sind gute Entscheidungen schwierig. 

Was meinen Sie damit?

Die Kitaleitung befindet sich häufig in einem Dilemma. Ganz typisch: Eine Krankmeldung kommt rein, die Gruppe ist unterbesetzt. Was jetzt? Schließe ich die Gruppe? Dann sind die Eltern verärgert. Springe ich selbst ein? Die Ressourcen habe ich eigentlich nicht. Ziehe ich eine Erzieherin aus der anderen Gruppe ab mit der Konsequenz, dass deren Ausflug nicht stattfinden kann und die Kinder enttäuscht sind? Dann trägt der Träger vielleicht noch Ideen an die Leitung heran, die sie umsetzen soll, wozu sie jedoch das ohnehin überlastete Team gewinnen müsste. Solange eine Kitaleitung versucht, es allen recht zu machen, kann es ihr selbst nicht richtig gut gehen.

Welchen Ausweg sehen Sie?

Ein zentraler Punkt ist, den Kitaleitungen ausreichende Zeitressourcen für Leitungstätigkeiten einzuräumen. Außerdem muss die Leitungskraft akzeptieren, dass es häufig keine gute Entscheidung geben kann, die alle zufriedenstellt. Man kann nicht immer allen gerecht werden. Das anzuerkennen hilft ungemein und entlastet auch. Wichtig ist, allen Betroffenen gegenüber transparent zu machen, warum eine Entscheidung so ausfällt, wie sie ausfällt. Das alles klingt in der Theorie vielleicht einfach, ist es in der Praxis aber nicht. Es gibt dennoch Wege, die nötigen Kompetenzen zu trainieren.

Gehen wir davon aus, dass die Kitaleitung für sich Strategien gefunden hat, gut mit ihren eigenen Belastungen umzugehen – wie kann dann eine gesundheitsförderliche Führung aussehen?

Der Dreh- und Angelpunkt ist Kommunikation: die Besprechungskultur überdenken und überlegen, wie das Team und die Leitung in einen Austausch zur Gesundheits- und Arbeitssituation kommen können. Etwa, welches Format sich anbietet, um darüber zu sprechen, was gut und weniger gut läuft, was die Beschäftigten brauchen, wie es ihnen geht. Das geht im Alltag oft unter. Deshalb sollte es Bestandteil jeder Dienstbesprechung sein – das muss nicht bedeuten, dass man lange darüber redet, sondern effektiv. Es genügen Fragen wie: Was funktioniert gut, was nicht? Was braucht ihr, damit Dinge besser laufen können? Die Zeit sollte man sich nehmen – und dann auch weiterverfolgen, was daraus wird, und am Ball bleiben.  

Das heißt, Aktionen wie ein Kurs zu rückengerechtem Arbeiten sind eher ein „Nice-to-have“ für die Gesundheit der Beschäftigten, zuerst muss als Basis eine gemeinsame Teamkultur geschaffen werden?

Das würde ich so nicht sagen. Es gibt durchaus unterschiedliche Herangehensweisen, aber leider kein Patentrezept, das man für jede Einrichtung und jedes Team anwenden kann. Allerdings: In dem Moment, in dem ich als Beschäftigte merke, dass meine Leitung meine Gesundheit in den Mittelpunkt stellt, weil sie möchte, dass es mir bei der Arbeit besser geht und dass meine Arbeitsbedingungen so gestaltet sind, dass ich gesund arbeiten kann, dann ist das ein Türöffner für eine Verbesserung. Habe ich aber den Eindruck, jetzt machen „die da oben“ wieder nur ein Projekt, weil es vorgeschrieben ist, dann kann dies die Situation verschlechtern. Ein guter Einstieg könnte die Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen sein. Kitaleitungen sollten zudem lernen, gut für sich selbst zu sorgen, für ihre Gesundheit achtsam zu sein und Gesundheit als Wert zu erkennen. Dahinter steht der Gedanke: „Wie kann ich achtsam sein für andere, wenn ich es nicht für mich selbst bin?“ 

Raten Sie dazu, dass sich Kitaleitungen gerade im Bereich der gesunden Führung zusätzlich qualifizieren?

Das wäre sehr wichtig. Hier sehe ich auch die Träger in der Verantwortung, ein Führungsleitbild als Grundlage für die Organisations- und Personalentwicklung zu entwerfen. In Bezug auf die Gesundheitsförderung der Beschäftigten, die Leitungen ein-geschlossen, besteht zudem die Möglichkeit, sich durch ihren zuständigen Unfallversicherungsträger oder auch eine Krankenkasse Unterstützung zu holen.

Die Fragen stellte Stefanie Richter

Weitere Informationen

Gefährdungsbeurteilung psychischer Gesundheit: Wie Sie psychischen Belastungen entgegenwirken; Beitrag in KinderKinder 1/2022:
kurzelinks.de/7ex1

Videovorträge: „Wie Kinder psychisch stabil bleiben können“

Die psychische Gesundheit von Kindern ist eine zentrale Voraussetzung für gesundes Aufwachsen. Besonders schwierige Lebenssituationen der Kinder machen sich im Kita-Alltag bemerkbar – deshalb ist es elementar, dass Fachkräfte Anzeichen für psychische Belastungen erkennen. „Kindergesundheit-info“, ein Webangebot des Bundesinstituts für öffentliche Gesundheit, bietet kostenfreie Videovorträge zum Thema „Wie Kinder psychisch stabil bleiben“ an.

Die Beiträge von Expertinnen und Experten geben praxisnahe Hinweise zu:

  • Erkennungsmerkmale von seelischen Belastungen
  • Anzeichen für ADHS
  • Störungen des Sozialverhaltens
  • Unterstützungsbedarfe von Kindern mit Behinderung
  • Strategien zur Resilienzförderung – bei Kindern und Fachkräften

Neben den Vorträgen steht den Kita-Fachkräften auf der Website des Bundesinstituts eine Übersicht mit Unterstützungsangeboten zur Verfügung. Diese befassen sich mit der Förderung psychischer Gesundheit von Kindern und Jugendlichen. Fachkräfte können sich die Fachinformationen und Hilfestellungen kostenlos als PDF herunterladen.

Malwettbewerb: Was bringt dich zum Lachen?

Vom 17. Juli bis zum 13. September 2024 veranstaltet die Stiftung Achtung Kinderseele ihren fünften bundesweiten Malwettbewerb. Teilnehmen können Kinder zwischen zwei und sieben Jahren, die noch nicht in der Schule sind. Das Thema „Was bringt dich zum Lachen?“ soll die Kinder zum Nachdenken anregen und ihre Fähigkeit fördern, sich in herausfordernden Situationen an schöne Momente zu erinnern. So sollen Wohlbefinden und Resilienz der Kinder gestärkt werden.

12 Bilder werden von einer Jury ausgewählt und zu einem Jahreskalender für 2025 zusammengefügt, den alle teilnehmenden Kitas erhalten. Auch die 12 kleinen Künstlerinnen und Künstler bekommen als Überraschungsgeschenk einen Kalender.

Die Bilder können postalisch bis einschließlich 13. September 2024 (Datum des Poststempels zählt) eingereicht werden.

Weitere Informationen zur Teilnahme stehen auf der Website der Stiftung Achtung Kinderseele

Wie aus Belastungen Herausforderungen werden

KURZ GESAGT!

_Belastungen in Kitas sind vielschichtig

_Resilienz ist nur teilweise Veranlagung und lässt sich verbessern

_Team und Leitungskultur sind entscheidende Faktoren

Personalknappheit, ungenügende Ausstattung des Kitas, Lärm, ergonomische Belastungen, hoher Aufwand für Verwaltung und Dokumentation, gestiegene Erwartungshaltung der Eltern hinsichtlich Transparenz, Mitbestimmung und Öffnungszeiten, aber auch das Einkommen und geringe Aufstiegsmöglichkeiten: „Es gibt nicht die eine große Belastung. Es sind viele verschiedene Herausforderungen, die für die pädagogischen Fachkräfte in der Summe das Problem ausmachen“, sagt Verena Hombücher, Referentin bei der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW).

Und dann kam 2020 auch noch Corona. „Das hat wie ein Brennglas gewirkt und die ohnehin schon schwierige Situation in Kitas noch schwieriger gemacht“, weiß Verena Hombücher, die am BGW-Trendbericht 2022 über die Situation in der Kinder- und Jugendhilfe als Autorin mitgewirkt hat. Nicht von ungefähr trägt der Bericht den Namen „Zukunftsweisende Entwicklungen zwischen Lockdown und Knock-down“. Zahlen, Daten und die Interviews mit den Führungskräften „zeigen eine Branche am Limit“, heißt es dort.

Kein Wunder also, dass sich viele Kitaleitungen und Fachkräfte nicht nur gefordert, sondern manchmal auch überfordert füh-len. Um mit den Belastungen und dem Stress umgehen und sich davon erholen zu können, braucht es eine stabile psychische Widerstandskraft. Die sogenannte Resilienz.

Eine gute Nachricht dazu haben die Erziehungswissenschaftlerin Dr. Katrin Lattner und die Psychologin Prof. Dr. Petra Strehmel von der Bundesarbeitsgemeinschaft Bildung und Erziehung in der Kindheit (BAG-BEK): Resilienz ist keine Veranlagung, sondern ein Produkt der Sozialisation und eigenen Erfahrungen – und sie lässt sich verbessern. Die weniger gute Nachricht: Allein wird das schwierig.

„Wichtig ist eine gute Organisationskultur, in der Erzieherinnen und Erzieher die Gelegenheit haben, selbst etwas zu bewirken“, sagt Petra Strehmel. Politik und Trägern komme dabei die Schlüsselrolle zu, weil sie die Rahmenbedingungen vorgäben. Die Kitaleitungen könnten aber ihren Teil beitragen, indem sie den Fachkräften Raum zur Entfaltung und Mitbestimmung geben, ihnen Wertschätzung entgegenbringen und für eine gute Teamkultur sorgen würden. Denn: „Im Beruf Resilienz zu entwickeln, hängt stark von den Arbeitsbedingungen ab.“ Dazu zählt auch, um Hilfe zu bitten und diese anzunehmen, wenn die Belastungen zu groß werden. Oder sich umgekehrt selbst einzubringen, um Kolleginnen und Kollegen zu unterstützen.

Herausforderungen lassen sich meistern


„Das Team ist die Top-Ressource für die Fachkräfte“, erklärt Katrin Lattner. Unterstützen sich die Erzieherinnen und Erzieher gegenseitig, werde eine Situation weniger als Belastung, sondern eher als Herausforderung begriffen. Und die lassen sich gemeinsam meistern, indem jede und jeder Einzelne eigene Fähigkeiten zum Nutzen aller einbringe. „So kann man die Ressourcen der einzelnen Fachkraft und auch die des Teams stärken“, sagt Katrin Lattner.

Auf der persönlichen Ebene können Erzieherinnen und Erzieher auch etwas tun, um ihre Resilienz zu stärken. Sich der eigenen Bewertungen, Glaubenssätze und inneren Antreiber bewusst zu werden und in gesundheitsförderliche Denkmuster zu überführen, sei ein Ansatz, sagt Katrin Lattner. Also zu hinterfragen: Was stresst mich? In welcher Situation? Warum? Und dann zu schauen: Wie kann ich anders damit umgehen? Was könnte mir helfen? „Wenn eine Fachkraft permanent den Drang hat, alles perfekt zu machen, setzt sie die Erwartungshaltung an sich selbst in einer Krisensituation noch zusätzlich unter Druck“, gibt die Wissenschaftlerin ein Beispiel. In dem Fall hieße das, die eigenen, überhöhten Ansprüche zu überdenken und zurückzuschrauben.

Zeit nehmen für positive Gefühle


Einfacher gesagt als getan. Die eigene Einstellung in Richtung Zielorientierung und positive Emotionen zu verändern, ist ein langwieriger Prozess. Auf individueller Ebene ist er kaum zu bewältigen. „Die Organisation der Kita muss als Ganzes so entwickelt werden, dass es den einzelnen Fachkräften guttut“, sagt Petra Strehmel. Coachings, Supervisionen und Teamtage seien geeignete Instrumente dafür. Die Erzieherinnen und Erzieher könnten sich so über Aufgaben und Erfahrungen austauschen, die sie an ihre Grenzen gebracht hätten. Wichtig sei es, sich auch für positive Gefühle Zeit zu nehmen, ergänzt Katrin Lattner. Stolz darauf zu sein, was man geschafft habe, es innerhalb des Teams wertzuschätzen und Erfolge gemeinsam zu feiern: „Je mehr ich über Positives spreche, desto mehr löscht es negative Emotionen und Ängste.“

Tipp!

Der Trendbericht 2022 steht auf der Webseite der BGW zum Download bereit:
https://kurzelinks.de/iwic