Kinder müssen an Kita-Entscheidungen beteiligt werden, sofern diese sie betreffen. So will es das Gesetz. Das ist aber nicht nur eine lästige Pflicht, sondern sinnvoll und ein Gewinn für alle Beteiligten, findet eine Kita im Ruhrgebiet.

Als Alexandra Knoch vor einigen Jahren zum ersten Mal in ihrem Arbeitsumfeld dem Thema Partizipation begegnete, hielt sie es noch für „einen verrückten Gedanken“. Denn: „Es kann ja nicht sein, dass jetzt hier die Kinder bestimmen. Dann gibt es Schokolade zum Frühstück und Bonbons zum Mittagessen“, erinnert sich die Erzieherin der Kita am Wald in Castrop-Rauxel an die Anfänge zurück.

Knoch weiß inzwischen: Partizipation heißt eben nicht, die Kinder einfach machen zu lassen, was sie wollen. Eine wichtige Aufgabe der Kitas besteht vielmehr darin, die Kinder mitentscheiden oder sogar alleine entscheiden zu lassen – ohne dass sie zu Bestimmern werden. Die pädagogischen Fachkräfte müssen dafür den Rahmen vorgeben, Grenzen setzen, die Kinder leiten.

 

KURZ GESAGT!

  • Partizipation braucht einen Rahmen und klare Grenzen
  • Meinung der Kinder muss ernst genommen werden
  • Flexibilität und Toleranz der Erzieherinnen gefragt

 

Ein Beispiel: In Castrop-Rauxel haben sie Bilder ausgedruckt, laminiert und in einer Kiste verstaut. Morgens im Stuhlkreis sind zwei Kinder an der Reihe und dürfen sich ein Bild aussuchen, das jeweils für ein Spiel steht. „Es kann sein, dass wir 15 Mal hintereinander Dornröschen spielen“, sagt Alexandra Knoch. „Dann ist es halt so, dann haben die Kinder gerade dieses Bedürfnis.“

Die anfängliche Skepsis ist jedenfalls verflogen. Im Gegenteil. „Partizipation ist für die Kinder toll, weil sie dadurch zu selbstbewussten Menschen werden, denen man das Gefühl gibt: Du hast eine Meinung, deine Meinung ist wichtig und sie wird hier ernst genommen“, sagt Knoch. „Sie lernen sich durchzusetzen, aber auch zu reflektieren.“ Die Erzieherinnen und Erzieher müssen für die Beteiligung der Kinder einerseits planen und organisieren, andererseits Spontaneität und ein gewisses Improvisationstalent aufbringen. „Das macht den Arbeitsalltag spannender“, findet Knoch.

 

BETEILIGUNG VON KINDERN UND JUGENDLICHEN LAUT SOZIALGESETZBUCH

Kinder und Jugendliche sind entsprechend ihrem Entwicklungsstand an allen sie betreffenden Entscheidungen der öffentlichen Jugendhilfe zu beteiligen.“

So steht es in § 8 Abs. 1 des SGB (Sozialgesetzbuch) VIII –Kinder- und Jugendhilfe. Diese gesetzliche Norm gilt auch für Kindertageseinrichtungen.

 

In der Kita am Wald dürfen die Kinder selbst entscheiden, was sie anziehen, wenn sie sich draußen austoben wollen. Wenn die Zweijährige in Flipflops raus will oder der Sechsjährige seine Jacke nicht zumachen möchte, akzeptiert das Kitapersonal das – sofern die Gesundheit nicht gefährdet ist. Schneit es bei Minusgraden, ist das Ende der Selbstbestimmung definitiv erreicht.

Knoch rät anderen Kitas zu Mut, wenn es um das Thema Partizipation geht. Sie kann die Angst verstehen, „dass sich die Kinder verrückte Sachen wünschen und dass es nach hinten losgeht“. Das sei aber noch nicht vorgekommen. „Ich bin meistens positiv überrascht von dem, was die Kinder möchten oder wie sie überlegen.“ Eine gewisse Flexibilität sei aber schon gefragt: „Man wünscht sich das harmonisch und hat für sich durchgespielt, wie es laufen soll. Man muss darauf reagieren und es auch tolerieren können, wenn es nicht so läuft und die Kinder in eine andere Richtung möchten.“

Knochs Rat an andere Kitas: klein anfangen. „Etwa mit der Frage, ob wir nach dem Mittagessen rausgehen oder drinbleiben.“ Danach können die Kinder bei größeren Entscheidungen wie etwa Ausflugszielen mitbestimmen. Und irgendwann ist der Punkt erreicht, an dem Kinder und Erwachsene nahezu auf Augenhöhe diskutieren. Wie in Castrop-Rauxel, wenn sie im Kreis um zwei Bälle sitzen. Wer loben will, schnappt sich den grünen Ball und darf erzählen, was ihm oder ihr gefallen hat. Wer Kritik – auch am Kitapersonal – äußern will, greift zum roten Ball. „Partizipation heißt: Ich kann auch in der Gruppe Kritik äußern, wenn ich etwas gut oder doof finde“, sagt Alexandra Knoch. „Die Meinung des Kindes zählt in der Gruppe.“

 

MITBESTIMMUNG UND SELBSTBESTIMMUNG

Partizipation drückt sich in Kitas auf zwei Ebenen aus.

 

  1. Mitbestimmung: Die Kinder entscheiden gemeinsam mit den Erwachsenen und den anderen Kindern.

Die Mitbestimmung ist eine Art Training für die Demokratie: Wo geht der Ausflug hin? Welche neuen Spielsachen schaffen wir an? Wie sollen wir im Gruppenraum miteinander umgehen? Das wird gemeinsam diskutiert, bis man eine Lösung findet. Es geht um die Rechte aller.

 

  1. Selbstbestimmung: Die Kinder entscheiden für und über sich selbst.

Die Selbstbestimmung hilft den Kindern bei der Entwicklung ihrer Persönlichkeit: Was will ich essen und wie viel? Ich kann Kritik äußern und auch mal „Nein“ sagen. Möchte ich nach dem Mittagessen schlafen? Es geht um das Recht des Individuums.

Zudem sind Mitbestimmung und Selbstbestimmung oft miteinander verknüpft. Wenn Paul mit Jasmin Ball spielen will, Jasmin aber keine Lust hat, muss Paul das akzeptieren. Wenn Jasmin lieber Fangen spielen will, müssen sich beide einig werden.

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