„Als Johannes die Diagnose Diabetes bekam, waren wir natürlich erst mal verunsichert und auch ängstlich, was da auf uns zukommen würde“, erzählt Jasemine B., Erzieherin im element-i Kinderhaus Steppkes in Stuttgart. „Aber es stand nie ernsthaft zur Debatte, dass er die Einrichtung nicht mehr besuchen dürfte.“ Nach reiflicher Überlegung im Team erklärten sich schließlich gleich drei pädagogische Fachkräfte bereit, sich in besonderer Weise um den Jungen kümmern zu wollen.
Trotzdem stand noch immer die Sorge im Raum, was ihnen rechtlich passieren könnte, würde ihnen doch einmal ein Fehler unterlaufen. Die Eltern nahmen diese Ängste ernst und setzten mit Unterstützung des Kita-Trägernetzwerks Konzepte ein Dokument zur Teilübertragung der Personensorge auf, das das pädagogische Personal von der Haftung entbindet und rechtliche Ansprüche der Familie ausschließt. „Mit dieser Sicherheit war mir schnell klar, dass ich hier meinen Beitrag leisten möchte. Meine Kollegen und ich wurden also vom Diabetesteam des Olgahospitals in Stuttgart sehr ausführlich geschult“, berichtet Jasemine B. „Wir fühlten uns gut vorbereitet.“
KURZ GESAGT!
- Unter bestimmten Voraussetzungen dürfen pädagogische Fachkräfte Medikamente verabreichen
- Unumgänglich bei Diabetes: Schulung der Beschäftigten
- Unsicherheiten ansprechen und gemeinsam angehen – Hand in Hand mit den Eltern
Gemeinsam mit der Familie tasteten sich die Erzieherinnen und Erzieher an die neuen Aufgaben und Herausforderungen heran. Essen abwiegen, Blutzucker messen, die Werte beurteilen, Insulingaben berechnen und verabreichen – das war für alle neu. Auch Johannes‘ Eltern mussten viel Flexibilität beweisen. Mutter Melanie I. begleitete ihren Sohn die ersten Wochen täglich in den Kindergarten, war – falls nötig – bei jedem Ausflug dabei und jederzeit für Nachfragen erreichbar. „Uns war es immer wichtig, nichts zu erwarten, nichts als selbstverständlich zu nehmen und der Kita immer zu signalisieren: Wir wissen, ihr macht das freiwillig. Dafür sind wir euch dankbar“, macht sie deutlich.
Viel Bürokratie
Als ausgesprochen umständlich erwies es sich, personelle Unterstützung für die Kita finanziert zu bekommen, denn dazu gibt es keinerlei einheitliche Regelungen. Es kostete die Familie viel Energie und Zeit, ihr Recht einzufordern. Sie konnte schließlich erreichen, dass auch jetzt noch eine FSJlerin die pädagogischen Fachkräfte personell unterstützt. „Sie ist nicht ausschließlich für unseren Sohn zuständig, sondern hilft überall mit. Denn wenn die Erzieherinnen sich stärker um Johannes kümmern, haben sie natürlich in diesem Moment weniger Zeit für die anderen Kinder“, erklärt die Mutter. Wichtig ist hierbei die Unterscheidung, dass er eine pflegerische Unterstützung und keine integrative benötigt. „Die Verantwortung für sein Diabetes-Management verschiebt sich mit jedem Lebensjahr immer mehr auf Johannes. Er muss ja lernen, das irgendwann alles selbst zu machen. Das erfordert viel Geduld und ein sicheres Umfeld, in dem Fehler passieren dürfen.“
So normal wie möglich
Es brauchte ein wenig Zeit, bis sich im Kita-Alltag alles gut eingespielt hatte. „Vielleicht waren wir am Anfang alle etwas zu sehr bemüht und übervorsichtig. Das hat sich aber recht bald gelegt“, erinnert sich Jasemine B. „Wir sind mit der Situation gewachsen – und sehr schnell auch sicher geworden. Johannes hatte nie einen Sonderstatus und konnte an allen Aktionen teilnehmen.“ Überaus hilfreich war die enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Kita und den Eltern. Für Melanie I. ist klar: „Es ist wichtig, dass sich die pädagogischen Fachkräfte mit der Situation ‚wohlfühlen‘. Wenn sie unsicher sind, überträgt sich das sofort aufs Kind. Und das ist in diesem Alter kritisch. Wir können von unserem Sohn sagen: Er hat seinen Diabetes akzeptiert, auch weil sein Umfeld ihn akzeptiert und es ihm dadurch leicht gemacht hat.“
„Verpflichtende Fortbildungen wären sinnvoll“
Dr. Markus Freff ist Facharzt für Diabetologie an den Kinderkliniken Prinzessin Margaret in Darmstadt. Er und sein Team schulen pädagogische Fachkräfte in eintägigen Seminaren und online zu chronischen Krankheiten.
Herr Dr. Freff, es kommt vor, dass Kinder aufgrund ihrer Diabetes-Erkrankung die Kita verlassen müssen, statt dass die Familien in dieser Lage unterstützt werden.
Ja, leider. Diese Kinder haben ohnehin schwierigere Startvoraussetzungen im Leben und dann tun sich plötzlich unnötige Hürden auf. Wenn Kinder immer wieder gesagt bekommen, dass sie etwas aufgrund ihrer Krankheit nicht dürfen oder können, dann hat das negative psychosoziale Auswirkungen – nicht zuletzt, was die Akzeptanz ihrer Krankheit betrifft.
Haben Sie eine Erklärung dafür, dass manche Kitas zögern, diabeteskranke Kinder aufzunehmen?
Ich denke, es liegt oftmals an fehlendem Wissen und mangelnden Vorkenntnissen. Wenn auf Leitungsebene immer noch jemand davon überzeugt ist, dass das Personal unter keinen Umständen Medikamente geben darf, dann wird es auch die engagierteste Erzieherin schwer haben, sich dagegen zu behaupten. Deshalb halte ich es für sinnvoll, das Thema chronische Erkrankungen ins Ausbildungscurriculum aufzunehmen und eine verpflichtende Fortbildung für pädagogische Fachkräfte dazu einzuführen. Optimal wäre es natürlich, wenn es in jeder Kita und Schule Gesundheitsfachkräfte geben würde – das würde vieles leichter machen.
Solange das alles noch nicht der Fall ist: Wer schult Kitapersonal im Umgang mit diabeteskranken Kindern?
Das ist in der Tat teilweise schwierig und hängt stark von der Region und dem Engagement der Diabetesteams vor Ort ab; es ist nicht bundeseinheitlich geregelt. Oft können Kinderärzte, Eltern initiativen und Diabetesvereine weiterhelfen.
Hilfreich: die DGUV Information „Medikamentengabe in Kindertageseinrichtungen“:
https://publikationen.dguv.de, Webcode: p202092
Viel Wissenswertes zum Thema gibt es auch in der Broschüre „Kinder mit Diabetes im Kindergarten“:
https://kurzelinks.de/kzw8