Als Johannes mit viereinhalb Jahren an Diabetes mellitus Typ 1 erkrankt, ist das erst mal ein Schock – nicht nur für seine Familie. Zum Glück ist schnell klar, dass auch seine Kita alles tun wird, damit das Leben für den Kleinen möglichst normal weitergehen kann.

„Als Johannes die Diagnose Diabetes bekam, waren wir natürlich erst mal verunsichert und auch ängstlich, was da auf uns zukommen würde“, erzählt Jasemine B., Erzieherin im ele­ment­-i Kinderhaus Steppkes in Stuttgart. „Aber es stand nie ernsthaft zur Debatte, dass er die Einrichtung nicht mehr besuchen dürfte.“ Nach reiflicher Überlegung im Team erklärten sich schließlich gleich drei pädagogische Fachkräfte bereit, sich in besonderer Weise um den Jungen kümmern zu wollen.

Trotzdem stand noch immer die Sorge im Raum, was ihnen rechtlich passieren könnte, würde ihnen doch einmal ein Fehler unterlaufen. Die Eltern nahmen diese Ängste ernst und setzten mit Unterstützung des Kita­-Trägernetzwerks Konzept­e ein Dokument zur Teilübertragung der Personensorge auf, das das pädagogische Personal von der Haftung entbindet und rechtliche Ansprüche der Fami­lie ausschließt. „Mit dieser Sicherheit war mir schnell klar, dass ich hier meinen Beitrag leis­ten möchte. Meine Kollegen und ich wurden also vom Diabetesteam des Olgahospitals in Stuttgart sehr ausführlich geschult“, berichtet Jasemine B. „Wir fühlten uns gut vorbereitet.“

 

KURZ GESAGT!

  • Unter bestimmten Voraus­setzungen dürfen pädago­gische Fachkräfte Medika­mente verabreichen
  • Unumgänglich bei Diabe­tes: Schulung der Beschäf­tigten
  • Unsicherheiten anspre­chen und gemeinsam angehen – Hand in Hand mit den Eltern

 

Gemeinsam mit der Familie tasteten sich die Erzieherinnen und Erzieher an die neuen Auf­gaben und Herausforderungen heran. Essen abwiegen, Blutzucker messen, die Werte beur­teilen, Insulingaben berechnen und verabrei­chen – das war für alle neu. Auch Johannes‘ Eltern mussten viel Flexibilität beweisen. Mut­ter Melanie I. begleitete ihren Sohn die ersten Wochen täglich in den Kindergarten, war – falls nötig – bei jedem Ausflug dabei und jederzeit für Nachfragen erreichbar. „Uns war es immer wichtig, nichts zu erwarten, nichts als selbst­verständlich zu nehmen und der Kita immer zu signalisieren: Wir wissen, ihr macht das frei­willig. Dafür sind wir euch dankbar“, macht sie deutlich.

Viel Bürokratie

Als ausgesprochen umständlich erwies es sich, personelle Unterstützung für die Kita finanziert zu bekommen, denn dazu gibt es keinerlei ein­heitliche Regelungen. Es kostete die Familie viel Energie und Zeit, ihr Recht einzufordern. Sie konnte schließlich erreichen, dass auch jetzt noch eine FSJlerin die pädagogischen Fachkräfte personell unterstützt. „Sie ist nicht aus­schließlich für unseren Sohn zuständig, sondern hilft überall mit. Denn wenn die Erzieherinnen sich stärker um Johannes kümmern, haben sie natürlich in diesem Moment weniger Zeit für die anderen Kinder“, erklärt die Mutter. Wichtig ist hierbei die Unterscheidung, dass er eine pflege­rische Unterstützung und keine integrative benö­tigt. „Die Verantwortung für sein Diabetes­-Ma­nagement verschiebt sich mit jedem Lebensjahr immer mehr auf Johannes. Er muss ja lernen, das irgendwann alles selbst zu machen. Das erfordert viel Geduld und ein sicheres Umfeld, in dem Feh­ler passieren dürfen.“

So normal wie möglich

Es brauchte ein wenig Zeit, bis sich im Kita­-Alltag alles gut eingespielt hatte. „Vielleicht waren wir am Anfang alle etwas zu sehr bemüht und über­vorsichtig. Das hat sich aber recht bald gelegt“, erinnert sich Jasemine B. „Wir sind mit der Situation gewachsen – und sehr schnell auch sicher geworden. Johannes hatte nie einen Sondersta­tus und konnte an allen Aktionen teilnehmen.“ Überaus hilfreich war die enge und vertrauens­volle Zusammenarbeit zwischen Kita und den Eltern. Für Melanie I. ist klar: „Es ist wichtig, dass sich die pädagogischen Fachkräfte mit der Situation ‚wohlfühlen‘. Wenn sie unsicher sind, überträgt sich das sofort aufs Kind. Und das ist in diesem Alter kritisch. Wir können von unse­rem Sohn sagen: Er hat seinen Diabetes akzep­tiert, auch weil sein Umfeld ihn akzeptiert und es ihm dadurch leicht gemacht hat.“

 

„Verpflichtende Fortbildungen wären sinnvoll“

Dr. Markus Freff ist Facharzt für Diabetologie an den Kinderkliniken Prinzessin Margaret in Darmstadt. Er und sein Team schulen pädago­gische Fachkräfte in eintägigen Seminaren und online zu chronischen Krankheiten.

Herr Dr. Freff, es kommt vor, dass Kinder aufgrund ihrer Diabetes-Erkrankung die Kita verlassen müssen, statt dass die Familien in dieser Lage unterstützt werden.

Ja, leider. Diese Kinder haben ohnehin schwie­rigere Startvoraussetzungen im Leben und dann tun sich plötzlich unnötige Hürden auf. Wenn Kinder immer wieder gesagt bekommen, dass sie etwas aufgrund ihrer Krankheit nicht dürfen oder können, dann hat das negative psycho­soziale Auswirkungen – nicht zuletzt, was die Akzeptanz ihrer Krankheit betrifft.

Haben Sie eine Erklärung dafür, dass manche Kitas zögern, diabeteskranke Kinder aufzunehmen?

Ich denke, es liegt oftmals an fehlendem Wis­sen und mangelnden Vorkenntnissen. Wenn auf Leitungsebene immer noch jemand davon überzeugt ist, dass das Personal unter keinen Umständen Medikamente geben darf, dann wird es auch die engagierteste Erzieherin schwer haben, sich dagegen zu behaupten. Deshalb halte ich es für sinnvoll, das Thema chronische Erkrankungen ins Ausbildungscur­riculum aufzunehmen und eine verpflichtende Fortbildung für pädagogische Fachkräfte dazu einzuführen. Optimal wäre es natürlich, wenn es in jeder Kita und Schule Gesundheitsfach­kräfte geben würde – das würde vieles leichter machen.

Solange das alles noch nicht der Fall ist: Wer schult Kitapersonal im Umgang mit diabeteskranken Kindern?

Das ist in der Tat teilweise schwierig und hängt stark von der Region und dem Engagement der Diabetesteams vor Ort ab; es ist nicht bun­deseinheitlich geregelt. Oft können Kinder­ärzte, Eltern initiativen und Diabetesvereine weiterhelfen.

 

Hilfreich: die DGUV Informa­tion „Medikamentengabe in Kindertageseinrichtungen“:
https://publikationen.dguv.de, Webcode: p202092

Viel Wissenswertes zum Thema gibt es auch in der Broschüre „Kinder mit Diabetes im Kindergarten“:
https://kurzelinks.de/kzw8

 

 

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