Peergruppen-EingewöhnungGemeinsam gut ankommen

Kinder brauchen Kinder. Auch beim Übergang aus der Familie in die Krippe oder Kita sind sie sich gegenseitig vielfach eine große Unterstützung. Die Peergruppen-Eingewöhnung macht sich dies zunutze. Anja Cantzler, Coachin und Weiterbildnerin, hat für dieses Modell große Sympathie.
Kinder und Erzieherinnen spielen mit Bauklötzen

Welche Vorteile bietet die Peergruppen-Eingewöhnung gegenüber den beiden „klassischen“ Modellen?


Für mich ist die Peergruppen-Eingewöhnung die logische Weiterentwicklung der Berliner und Münchener Eingewöhnungsmodelle: Sie berücksichtigt wie diese Erkenntnisse der Transitionsforschung und Bindungstheorie, gleichzeitig bezieht sie die Bedeutung der Gleichaltrigen auf Grundlage der Peergruppen-Forschung ein. Gerade das Berliner Modell ist sehr fachkraftbezogen. Viele Einrichtungen haben das Problem, dass sich die frisch eingewöhnten Kinder sehr stark auf ihre Bezugserzieherin fokussieren, die die Eingewöhnung begleitet hat. Ist sie nicht da, geraten die Kinder ins „Schwimmen“. Das kann bei der Peergruppen-Eingewöhnung dadurch aufgefangen werden, dass es ein Tandem von zwei Eingewöhnungsfachkräften gibt. Die Einrichtungen, die in Peergruppen eingewöhnen, stellen zudem fest, dass es den Kindern nicht mehr wichtig ist, welche Fachkraft da ist, sondern dass irgendeine erwachsene Person für sie ansprechbar ist, wenn sie Hilfe brauchen. Außerdem gibt die Kindergruppe Halt.


Können Sie das kurz erläutern?


Das Herzstück der Peergruppen-Eingewöhnung ist diese kleine, übersichtliche Kindergruppe. Gemeinsam lernen die Kinder von dort aus Schritt für Schritt den Kita-Alltag kennen, machen kleine Erkundungstouren, treffen vielleicht bereits die anderen Kitakinder auf dem Flur oder im Außengelände, aber alles in einer Art „geschützten Blase“. Sie erleben einander als Stütze und Ressource, trösten sich gegenseitig, ahmen einander nach und lernen so am Modell. Sie spielen und kooperieren miteinander – ja, bereits die Krippenkinder. All dies macht den Übergang und den Abschied von der primären Bindungsperson für sie leichter.

Die Eingewöhnung eines Kindes kann auch für die Eltern schmerzhaft sein. Da ist es vermutlich tröstlich, wenn man in diesem Ablöseprozess andere Mütter oder Väter trifft, die in derselben Situation sind.


Das wird mir von Kitas genau so zurückgemeldet. Man teilt die Sorgen und Erfahrungen. Einige Eltern gewöhnen schon zum zweiten oder dritten Mal ein und können in manchen Situationen beruhigen. Im Einzelfall kann es aber vorkommen, dass sich eine Bezugsperson unter Druck gesetzt fühlt, etwa dass die erste Trennung auch bei ihrem Kind klappen muss, schließlich funktioniert es ja bei den anderen. Die Eingewöhnungsfachkräfte müssen deshalb auch die Erwachsenen feinfühlig begleiten.


Ist es eine häufig geäußerte Befürchtung, dass in dieser Form der Eingewöhnung nicht genug auf das einzelne Kind geschaut wird?


Nur wenn man sich noch gar nicht damit auseinandergesetzt hat. Es ist wichtig, den Eltern klar zu kommunizieren: „Euer Kind hat sein eigenes Tempo und das darf es haben. Wir gehen individuell darauf ein und schauen zusammen, was ihm guttut.“ Die Bedürfnisse des einzelnen Kindes haben immer Vorrang vor den Interessen und Bedürfnissen der Gesamtgruppe. Auch hier zahlt es sich aus, im Tandem zu arbeiten. Eine Fachkraft kann sich verstärkt dem Kind widmen, das noch verunsichert ist, während die zweite sich um die anderen Kinder kümmert. Manchmal braucht es aber einen Plan B.

Wenn es optimal läuft, sind innerhalb von etwa vier Wochen drei bis fünf Kinder eingewöhnt, es geht also um einiges schneller als die Einzeleingewöhnung.


Das ist ein schöner Nebeneffekt, sollte aber niemals das Hauptargument für die Peergruppen-Eingewöhnung sein. Das ist mir sehr wichtig zu betonen! Es muss immer darum gehen, die Kinder gut ankommen zu lassen. Für viele Kinder ist die Verbindung zu anderen Kindern dabei das Tragende. Wenn ein Kind aber etwas anderes braucht, muss das Tandem mit den Eltern beratschlagen, was das sein könnte und wie man das ermöglicht. Und eventuell dauert es dann im Einzelfall doch deutlich länger. Noch mal: Ich rate dringend davon ab, die Peergruppen-Eingewöhnung hauptsächlich als beschleunigte Eingewöhnung zu begreifen.


Kommt das vor?


Ja leider, in Einzelfällen. Als ich vor 30 Jahren als junge Fachkraft angefangen habe, haben die Mütter ihre Kinder morgens gebracht und sind wieder gegangen, da wurde gar nicht eingewöhnt. Es war ganz schrecklich für mich – und erst recht für die Kinder. Da sind wir zum Glück heute viel weiter. Aber es gibt noch immer Einrichtungen, die wenig kindorientiert arbeiten, obwohl sie es besser wissen könnten. Es gibt keine Rezepte, die für jedes Kind und jede Einrichtung passen, aber für mich ist es wichtig, die Bedürfnisse des Kindes ins Zentrum zu stellen, besonders bei einer so großen Aufgabe wie der ersten Ablösung von den Bindungspersonen.

Was raten Sie Einrichtungen, die sich in Sachen Peergruppen- Eingewöhnung auf den Weg machen wollen?


Man sollte das sehr gut vorbereiten und sich eng im Team abstimmen. Eine Beratung oder Coaching können dabei hilfreich sein. Unverzichtbar sind jedoch eine gute, transparente Kommunika-tion intern und zu den Eltern sowie ein ausreichender zeitlicher Vorlauf. Es lohnt sich, sich mit der Peergruppen-Eingewöhnung auseinanderzusetzen. Die Rückmeldungen, die ich von Einrichtungen erhalte, die dieses Modell anwenden, sind überwiegend begeistert.

Die Fragen stellte Stefanie Richter

Peergruppen-Eingewöhnung –
so geht’s

Bei der Eingewöhnung in die Peergruppe starten drei bis fünf Kinder mit möglichst ähnlichem Entwicklungsstand gemeinsam in die Kita, begleitet von zwei Eingewöhnungsfachkräften. Ähnlich wie bei einem Eltern-Kind-Spielkreis kommen die Kinder mit ihrer jeweiligen Bindungsperson in einem separaten Raum in der Kita zusammen und können in den nächsten Tagen und Wochen stabile Spiel- und Freundschaftsbeziehungen zueinander aufbauen. Die Eingewöhnungsfachkräfte nehmen sich eher zurück, beobachten und ermutigen die Kinder und geben Spielanregungen. Sie stehen außerdem immer als Ansprechpersonen für die Eltern zur Verfügung. Haben die Fachkräfte den Eindruck, die Kinder seien dazu bereit, werden nach einigen Tagen erste Trennungsversuche unternommen – bestenfalls bei der gesamten Kindergruppe. Die Bezugspersonen bleiben als „sicherer Hafen“ in der Einrichtung. Dann wird nach und nach die Zeit der Trennung erhöht, bis die Kinder andere Erwachsene als weitere Bezugspersonen akzeptieren und sie gut in der Kita angekommen sind.

  Foto: Christof Cantzler

Anja Cantzler ist Weiterbildnerin und Coachin. Sie bloggt unter coaching-cantzler.de/blog/ zu vielen Aspekten der bedürfnisorientierten Erziehung im Kontext Kita und ist auch auf Social Media aktiv: @anjacantzler

Mehr erfahren?


Eine Liste mit ausgesuchten Fachartikeln und einigen Podcasts, in denen Anja Cantzler sich zu weiteren Aspekten der Peergruppen­Eingewöhnung äußert, finden Sie unter: www.kinderkinder.dguv.de/peers


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