„Kinder brauchen mutige Fachkräfte“

Arne Schröder ist Kindheitspädagoge und Aufsichtsperson der Kommunalen Unfallversicherung Bayern. Wir sprachen mit ihm über Risikokompetenz und warum das Kitapersonal zwischen Herausforderung und Gefahr unterscheiden muss.

Sollen Kitas Sicherheitserziehung als solche thematisieren oder reicht es, wenn sie „en passant“ verschiedene Fähigkeiten fördern?

Beides ist richtig und beides ist wichtig. Es hängt von der Situation und von der Zielsetzung ab. Geht es darum, Kinder über unmittelbare Gefährdungen zu informieren, müssen pädagogische Fachkräfte klare Hinweise geben, wie sich Kinder zu verhalten haben, etwa beim Überqueren von Straßen auf Ausflügen. Langfristig verfolgt Sicherheitserziehung das Ziel, Kinder in die Lage zu versetzen, Risiken zu erkennen, einzu­schätzen und eine verantwortliche Handlungsentscheidung zu treffen, kurz: der Erwerb von Risikokompetenz. Hierfür benötigen Kinder eine hinreichend sichere, aber herausfordernde Umge­bung und Erwachsene, die ihnen die Möglichkeit und Erlaubnis geben, sich auszuprobieren.

Haben Sie ein Beispiel?

Ein Vierjähriger steht im Außengelände seiner Kita vor einem Kletternetz. Er kann in dieser Situation verschiedene Entschei­dungen treffen: ob er das Netz hochklettert, wie hoch er klettert oder ob er sich das Hochklettern doch noch nicht zutraut und lieber am Boden bleibt. Wichtigste Aufgabe der pädagogischen Fachkräfte ist es in dieser Situation, für den sicheren Rahmen zu sorgen – etwa mit der Regel, dass keine Springseile am Kletternetz befestigt werden oder dass im Fallbereich keine Gegenstände (etwa Dreiräder) stehen.

Welche Spiele eignen sich, um Kinder motorisch, sensorisch und kognitiv zu fördern?

Bewegung ist entscheidend. Eigentlich suchen sich Kinder häufig selbst die für sie passenden Spielaktivitäten heraus. Und die sind oft mit hoher Geschwindigkeit (Laufen), Höhe (Klettern) sowie Raufen und Toben verbunden. Diese Spiele nennt man auch riskante Spiele, weil ein gewisses Verletzungsrisiko besteht. Gerade wenn es um den Erwerb von Risikokompetenzen geht, sind diese Spielformen aber von großer Bedeutung. Kompetenzen müssen von Kindern selbst organisiert und handlungspraktisch erworben werden. Hierfür benötigen Kinder Zeit, Platz, Möglich­keiten und mutige pädagogische Fachkräfte, die diese Spiele auch erlauben. Daneben gibt es eine ganze Reihe von angelei­teten Spielen zur Förderung der Wahrnehmung. Kinder lernen im Spiel und durch das Spiel und entwickeln sich hierdurch weiter.

Jüngere Kinder sind kognitiv nicht in der Lage, Risiken richtig abzuschätzen. Wie begegnet man diesem Umstand?

Hier kommt die besondere Rolle der pädagogischen Fachkräfte zum Tragen. Sie müssen abschätzen können, ob eine Situation für ein Kind eine Gefahr darstellt, vor der das Kind beschützt werden muss, oder eine Herausforderung, bei deren Bewältigung das Kind entwicklungsangemessen begleitet werden muss. Vor bestimmten Gefährdungen müssen Kinder geschützt werden, wie vor Stromschlägen.

Das heißt, potenzielle Gefährdungssituationen können und sollten differenziert betrachtet werden?

Richtig. Ein Beispiel ist der Umgang mit Magneten: Verschluck­bare Magnete dürfen für U3­-Kinder nicht frei zugänglich sein. Aber Krippenkinder werden ja auch älter und haben einen Ent­wicklungsstand erreicht, bei dem sie nicht mehr alles in den Mund nehmen. Diesen Kindern sollte man durchaus die Gele­genheit geben, Erfahrungen mit Magneten zu machen. Pädago­gische Fachkräfte müssen sich also darüber informieren, welche Spiel­ und Bastelmaterialien für Kinder unterschiedlichen Ent­wicklungsstandes geeignet sind. Sie überlegen, wie die pädagogische Arbeit gestaltet werden kann, um einerseits einen mög­lichst großen Rahmen für Aktivitäten zu schaffen, andererseits aber auch die Sicherheitsinteressen der Kinder ausreichend zu berücksichtigen. Je nach Kind und Situation verhalten sie sich beobachtend, greifen verbal oder auch „richtig“ ein.

Welche Anlässe eignen sich, um über Gefahren und Risiken zu sprechen?

Einige Anlässe zwingen förmlich dazu, mit Kindern über Gefahren und Risiken zu sprechen. Hierzu gehört zum Beispiel die Fest­legung oder Absprache von Verhaltensregeln bei Ausflügen. Ich unterscheide das bewusst. Bestimmte Regeln werden festgelegt und umgesetzt. Anderes kann mit den Kindern ausgehandelt werden. Beispiel: Bei Ausflügen wird es die klare Festlegung ge­ben, dass auf einem Bürgersteig entlang einer Straße kein Kind den Gruppenverbund verlässt und vor­ oder gar auf die Straße läuft. Durchquert die Gruppe dagegen ein Gelände ohne Straßen­verkehr können durchaus Absprachen getroffen werden, wie weit die Kinder vorlaufen können, etwa bis zur nächsten Parkbank.

Aber auch das erfolgreiche Bewältigen von riskanten Situationen oder das Scheitern in diesen Situationen kann zum Anlass genommen werden, mit älteren Kindern gemeinsam zu über­legen, warum etwas funktioniert hat oder eben auch nicht und welche Schlüsse daraus gezogen werden können. Ziel dieser Gespräche sollte sein, Kinder bei der Entwicklung einer realisti­schen Selbsteinschätzung zu unterstützen.

 

Die Fragen beantwortete Arne Schröder. Er hat Kindheitspädagogik, Kindheits­- und Sozialwissenschaften studiert. Bevor er Aufsichtsperson wurde, leitete er viele Jahre lang Kitas.

 

 

Eine Auswahl geeigneter Spiele beschreibt die DGUV Information 202­062
„Wahrnehmungs-­ und Bewegungsförderung in Kindertageseinrichtungen“:
publikationen.dguv.de, Webcode: p202062

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