„Reden, reden, reden“

Ein gutes Team zeichnet sich nicht durch pure Harmonie aus, sondern durch Wertschätzung und Respekt. Die Expertin für pädagogische Arbeit in Kitas, Anja Cantzler, erklärt im Interview, wie so etwas gelingt.

In einigen Kitas spürt man direkt, dass sich das Team super versteht. Wovon hängt ab, ob die Kolleginnen und Kollegen gut miteinander auskommen?

Das ist kein Zufall, sondern Ergebnis langjähriger, kontinuierlicher Arbeit. In einem Team kommen viele verschiedene Persönlichkeiten zusammen. Wichtig ist, dass die Rollen und Aufgaben klar verteilt sind. Außerdem kommt es darauf an, die Stärken und Ressourcen anzuerkennen. A und O ist eine gute Feedbackkultur. Dazu gehört, gemeinsam Regeln aufzustellen: Wie gehen wir damit um, wenn wir bei einer Kollegin etwas beobachten, das wir nicht in Ordnung finden? Dabei sollten wir stets zuerst davon ausgehen, dass die Kollegin gute Gründe hat – und das Verhalten nicht bewerten.

In der Praxis gar nicht so einfach: Wie sage ich der Kollegin am besten, dass sie sich nicht immer um die Dienste im Garten drücken soll?

Am besten persönlich ansprechen. Und zwar nach dem Leitfaden der gewaltfreien Kommunikation. Das heißt, sich um Ich-Botschaften bemühen, also wertfrei sagen: „Ich habe beo-achtet, dass du eher drinnen bleibst.“ Im zweiten Schritt gilt es, die eigenen Gefühle zu artikulieren: „Ich merke, dass mich das ärgert.“ Dabei sollte ich erklären, was mich daran stört: Fühle ich mich draußen allein mit den Kindern überfordert? Oder bin ich selbst nicht gern im Garten? Im letzten Schritt kann ein Kompromiss angeboten werden, stets verbunden mit Rückfragen: „Wie siehst du das?“

Warum fällt uns so etwas oft schwer?

Oft steckt dahinter die Angst, sich unbeliebt zu machen oder dass jemand böse ist. Alles wird ins Harmoniepaket gepackt, sodass gar keine Lösung miteinander gefunden wird. Das hat viel mit der eigenen Biografie zu tun: Wie habe ich selbst gelernt, mit Konflikten umzugehen? Eine Erzieherin ist zum Beispiel stets Konflikten aus dem Weg gegangen. Sogar wenn sie darauf angesprochen wurde, sagte sie, es sei alles in Ordnung. Der Grund: Als sie in einer Kita offen Kritik geäußert hatte, war ihr Mobbing vorgeworfen worden. Eine andere Erzieherin realisierte in der Supervision, dass bei ihr zu Hause früher nie Konflikte ausgetragen wurden. So etwas ist mit viel Zündstoff verbunden.

Was tun, wenn ich die Situation ganz anders wahrnehme als meine Kollegin?

Jeder hat seine Sicht auf die Dinge, das ist völlig normal. Ein Problem entsteht erst, wenn beide Seiten beanspruchen, recht zu haben. Deshalb ist wichtig, im Team so viel Feedbackkultur wie möglich zu entwickeln. Zu einer guten Fachkraft gehört meiner Meinung nach dazu, sich auf Selbstreflexion einzulassen.

Wie kann so etwas gefördert werden?

Dafür eignet sich zum Beispiel die Marte-Meo-Methode. Dabei werden kurze Alltagssituationen per Video aufgenommen: wie eine Erzieherin einem Kind die Jacke anzieht oder bei einem Streit vermittelt. Das Team wird in der Reflexion geschult: Wie sah der Blickkontakt aus? Wie die Körperhaltung? Dabei geht es nicht darum, Defizite zu entdecken. Der Fokus liegt auf den Stärken: Was läuft gut – und könnte noch besser werden? Was zählt, ist die Haltung.

Gibt es für den Einstieg etwas niedrigschwelligere Methoden?

Sinnvoll ist zu Beginn jeder Teamsitzung eine kurze Blitzlichtrunde: Was beschäftigt jede Fachkraft gerade? Wie geht es ihr? So entwickelt man mehr Verständnis füreinander. Das muss gar nicht lang sein. Doch so eine Viertelstunde bringt unglaublich viel – und zeigt auch, welcher Stellenwert der Teamarbeit beigemessen wird.

Welche Tipps gibt es noch?

Voraussetzung ist, sicher miteinander zu werden. Dafür sollte man sich bewusst machen, was man aneinander schätzt. Jeder kann zum Beispiel seinem rechten Sitznachbarn ein paar nette Worte sagen. Oder bei der „warmen Dusche“ ist der Fokus auf eine Person gerichtet. Ich erlebe oft, dass Leute dabei richtig aufblühen. Andere können Lob schlecht aushalten. Warum ist das so? Da ist man direkt mittendrin in einer Diskussion.

Welche Rolle kommt der Kitaleitung dabei zu?

Alles steht und fällt mit der Leitung. Ich beobachte immer wieder: Wo es wunderbar funktioniert, hat es viel mit der Kompetenz der Leitung zu tun – oder zumindest mit der Bereitschaft, Unterstützung von außen zu holen, wenn sie nicht weiterkommt. Dabei ist es sinnvoll, nicht erst zu warten, bis das Kind in den Brunnen gefallen ist. Regelmäßige Sitzungen mit einem Coach oder eine Supervision tragen viel zum guten Klima bei.

Worauf sollte die Leitung im Alltag achten?

Reden, reden, reden. Viel Zeit in Teamsitzungen wird auf Wochen- und Jahresplanungen verschwendet, dabei wird zum x-ten Mal das Laternenfest geplant. Dabei wäre es viel wichtiger, sich mit sich als Team zu beschäftigen. Dazu gehört zu überlegen, in welcher Teamphase man sich gerade befindet: Hat zum Beispiel eine Kollegin neu angefangen? Welche Unterstützung braucht sie?

Vor allem die ersten beiden Wellen der Coronakrise waren für die Teams in Kitas eine schwere Zeit. Worauf kommt es jetzt besonders an?

Viele haben die Nase so voll, dass sie gar nicht zurückblicken wollen. Doch wichtig ist eine Krisenbewältigung, darüber zu sprechen, wie schwer die Zeit war – aber auch darüber, was man gemeinsam gemeistert hat. Prinzipiell gilt: Teams, die gut funktionieren, bewältigen auch Krisen viel besser.

Foto: Christof Cantzler
Die Fragen beantwortete Anja Cantzler. Die Sozialpädagogin hat früher selbst als pädagogische Fachkraft gearbeitet und eine Kita geleitet. Sie unterstützt heute Teams mit Weiterbildung, Coaching und Supervision bei der Arbeit. Ihr Motto: „Es ist viel schöner, an seinen Stärken zu wachsen, als an seinen Schwächen zu verzweifeln.“ In ihrem Buch „Gruppenleitung in der Kita“ (Vandenhoeck & Ruprecht) finden sich viele Themen und Methoden zu Teamreflexion und Teambuilding.

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