Erste-Hilfe-Kurs für Kita-Beschäftigte„So – er lebt jetzt wieder!“

Wo sonst „Zwerge“, „Rasselbande“, „Rotznasen“ und „Strolche“ fürs Leben lernen, lernen nun ihre Bezugspersonen. Wie lege ich einen Druckverband an? Was mache ich bei einem Fieberkrampf? Wie funktioniert die Herz-Lungen-Wiederbelebung? Kurzum: Was tun im Notfall? Ein Besuch bei einem Erste-Hilfe-Kurs für pädagogische Fachkräfte in der Kita Weddel in Fuldatal.
Anett bekommt ein Pflaster auf die Nase geklebt.

KURZ GESAGT!

_Der Kurs beinhaltet Erste-Hilfe-Maßnahmen bei Erwachsenen und bei Kindern
_Der Fokus liegt auf realistischen Kita-Szenarien
_Die Fachkräfte erhalten alltagstaugliche Tipps

„Das ist so eklig.“ Janine verzieht das Gesicht, als sie die Plastikhandschuhe überstreift. Mit Einmalhandschuhen Kinder wickeln – für die Erzieherin kein Problem. „Die haben die richtige Größe und bestehen aus einem anderen Material“, sagt Janine. Aber die Vinylhandschuhe in Standardgröße aus dem Verbandkasten? Die sind zu groß, fühlen sich seltsam an und richtig greifen kann sie damit auch nicht. Und jetzt soll sie damit auch noch einen Verband anlegen. Denn das ist die erste Aufgabe, die DRK-Ausbilderin Esther Stoffregen den 16 Teilnehmenden im Kurs „Erste Hilfe in Bildungs- und Betreuungseinrichtungen für Kinder“ stellt: Blutungen stoppen.

Druckverbände anlegen will geübt sein

Zwölf pädagogische Fachkräfte haben in Fuldatal beim Kurs in der Kita Weddel ein Heimspiel, vier sind in der benachbarten Kita Hummelnest tätig. Da finden sich die Teams für die Gruppenarbeiten schnell zusammen. Alle simulieren nun eine blutende Verletzung an verschiedenen Körperpartien. Auch vier stark blutende Wunden sind dabei, fiktive versteht sich. Die kleine Wunde an der Nase ist schnell versorgt. „Es geht mir schon viel besser“, lacht Anett, der nun ein kleines Pflaster quer über der Nase klebt. Die Stimmung ist gut, Berührungsängste gibt’s im eingespielten Team keine. Die Fachkräfte sind eifrig dabei, Pflaster zu kleben und Mullbinden um Köpfe, Arme, Beine, Schultern und Hüften zu wickeln. 

Als alle fertig sind, folgt die Bestandsaufnahme. „Ich mag es nicht, wenn jemand in meinem Kurs Gliedmaßen verliert oder bewusstlos wird“, scherzt Esther Stoffregen und deutet auf den Druckverband an Fahimas Arm. Der ist zwar nicht schief, aber deutlich zu fest gewickelt und schnürt ihr so die Blutzufuhr ab. „Wenn es stark blutet, muss eine Ader beschädigt sein“, führt Stoffregen aus. Dann gibt die Rotkreuzdozentin ein einleuchtendes Beispiel: „Ist an einem Strohhalm seitlich ein Loch, kann ich daraus nicht mehr trinken. Erst dann wieder, wenn ich das Loch mit einem Finger abdecke. Aber ich darf den Strohhalm dabei nicht zusammenpressen, sonst kommt auch nichts mehr durch.“ Wie an Fahimas Arm, der nun wieder vom Druckverband befreit ist. Faustregel für alle Verbände: Man muss noch einen Finger darunterschieben können, dann ist er nicht zu fest.

Wenn sich Didaktik und Humor ergänzen

Einen Verband nach dem anderen begutachtet Esther Stoffregen, gibt dabei Tipps: „Verletzte mit starken Blutungen sollten liegen und der betroffene Körperteil über Herzhöhe hochlagern.“ Dann zeigt sie auf Susanne, deren Leistenverletzung ihre Kolleginnen mit einem Druckverband im Hüftbereich behandelt haben: „Dich hat man sogar stehen lassen.“ Die Runde lacht. Didaktik und Humor harmonieren eben prima. Didaktik und Praxisbeispiele ebenfalls. Und deshalb macht Esther Stoffregen vor, wie es einfach und richtig geht: ein Kopfverband für Lukas und ein Druckverband am Arm für Susanne. Abschließend noch ein Fingerkuppenpflaster für Fahima und ein Katzengesicht draufgemalt – den kleinen Kniff kann schließlich jede pädagogische Fachkraft im Kita-Alltag gut gebrauchen.

„Behaltet im Hinterkopf, dass ihr keine Verbände macht, um an Wettbewerben teilzunehmen“, fasst Stoffregen zusammen. Noch nie sei ein Rettungsdienst am Unfallort eingetroffen und habe die Schönheit eines Verbands gelobt. Der müsse nur drei wesentliche Bedingungen erfüllen: „Die Wunde muss steril abgedeckt sein. Der Verband muss halten. Niemand darf dadurch stranguliert werden.“ Diese drei Kriterien haben die Teilnehmenden unisono erfüllt. 

Wiederbelebung mit Besonderheiten

Der Kurs ist eine Mischung aus Erste-Hilfe-Maßnahmen für Erwachsene und für Kinder. Die Fachkräfte üben miteinander, was im Umgang mit Bewusstlosen zu tun ist: Ansprechen, Kopf überstrecken, Atmung überprüfen und – sofern normale Atmung vorliegt – die Person in die stabile Seitenlage bringen. Sie trainieren an einer Reanimationspuppe, wie sie eine Wiederbelebung durchführen, wenn eine Person nicht mehr normal atmet: 30-mal Herzdruckmassage (Tipp: Bei den gängigen Musikanbietern gibt es Playlists mit Songs für den richtigen Rhythmus) und zweimal Beatmung – so lange, bis der Rettungsdienst eintrifft und übernimmt. Sie lernen an einem Übungsgerät, wie sie einen Defibrillator richtig einsetzen.

So weit, so normal. Das Besondere am Kurs für Bildungs- und Betreuungseinrichtungen sind die Übungen mit Puppe „Junior“, die ein Kind im Vorschulalter darstellt, und mit einer Puppe im Babyalter. Der Unterschied zu Erwachsenen, die reanimiert werden müssen: „Bei Kindern sind es fast immer Probleme der Atemwege und nicht des Herzens“, erklärt Esther Stoffregen. „Deshalb fangen wir immer mit fünf Beatmungen an. Das kann einen Atemreflex auslösen, sodass das Kind wieder atmet.“ Ist das nicht der Fall, geht es im bekannten Rhythmus von 30 Herzdruckmassagen und zwei Beatmungen weiter.

Die Reanimation der Babypuppe kostete Renita und die anderen Erzieherinnen am meisten Überwindung.

Beim Baby kommen weitere Besonderheiten hinzu: Die Beatmung erfolgt durch Mund und Nase zugleich, der Kopf darf wegen der empfindlichen Luftröhre nicht überstreckt werden und die Herzdruckmassage erfolgt nicht mit zwei Händen (Erwachsene) oder einer Hand (reicht bei kleineren Kindern meist aus, um den nötigen Druck zu erzeugen), sondern nur mit dem ausgestreckten Zeige- und Mittelfinger einer Hand. 

Für die 16 Fachkräfte geht es nun an die praktische Umsetzung. „Das merkst du im Handgelenk“, sagt Beate, die gerade „Junior“ wiederbelebt. „Wenn man das zehn Minuten lang machen muss, ist das schon heftig.“ Danach ist Susanne an der Reihe und pflichtet ihrer Kollegin bei: „Das ist echt anstrengend.“ Und nach einigen Durchgängen erklärt sie ihre Mission für erfolgreich beendet: „So – er lebt jetzt wieder!“ Für viele war aber die Reanimation des Babys die größte Herausforderung, auch wenn es sich nur um eine Puppe handelte. „Das hat mich viel Überwindung gekostet“, sagt Nicole. „Die Hemmschwelle war größer als bei den anderen Puppen.“

Zehn Minuten Wiederbelebung, bis der Rettungsdienst eintrifft? „Das ist echt anstrengend“, sagt Susanne.

Beim Stichwort „Bügelperle“ stöhnt die Runde auf

Erste Hilfe in typischen Kita-Szenarien spielt Esther Stoffregen ebenfalls sehr anschaulich mit den Fachkräften durch. Zum Beispiel: Was mache ich, wenn ein Kind einen Fremdkörper in der Nase hat? Als die DRK-Ausbilderin das Stichwort „Bügelperle“ nennt, stöhnt die Runde auf – das haben einige offensichtlich schon erlebt. „Nicht schnäuzen lassen!“, unterstreicht Esther Stoffregen. Denn Kinder würden vorher reflexartig tief durch die Nase einatmen. Dabei könne es passieren, dass die Bügelperle noch tiefer eindringe. Also: Ruhig bleiben und die Eltern anrufen. Denn die Situation sei nicht akut gefährlich und es sei Aufgabe der Eltern, den Fremdkörper aus der Nase zu bekommen – und sei es beim Hals-Nasen-Ohren-Arzt. „Wenn die Eltern nicht greifbar sind, muss jemand von euch den Rettungsdienst rufen und gegebenenfalls mit dem Kind ins Krankenhaus“, beschreibt Stoffregen das richtige Vorgehen.

Der Kurs deckt darüber hinaus eine breite Palette an Themen ab, die die pädagogischen Fachkräfte beschäftigen: Wie gehe ich mit Fremdkörpern in Augen und  Wunden um, wie mit Insektenstichen, wie mit Gelenk- und Knochenverletzungen? Aber auch: Welche Maßnahmen muss ich bei Verbrennungen und Verbrühungen ergreifen, bei einem Sonnenstich, bei einer Unterkühlung oder wenn ein Kind einen Gegenstand verschluckt hat? Die Antwort auf die Frage nach dem richtigen Verhalten bei einem Fieberkrampf fällt der Gruppe recht leicht. Denn Fieberkrämpfe ähneln epileptischen Anfällen – und in der Kita Weddel betreuen sie ein Kind mit Epilepsie, sie kennen sich also auch mit Notfallmedikation aus. „Bei einem Fieberkrampf sollte man das Kind nicht anfassen und es auskrampfen lassen“, sagt Lukas. Esther Stoffregen pflichtet dem Erzieher bei und ergänzt: „Wenn ihr es festhaltet, lauft ihr Gefahr, ihm den Arm zu brechen.“

Bei Bauchverletzungen ist Eile geboten

Heikel wird es bei Verletzungen im Bauchraum. „Die können wir ja nicht sehen. Ich würde sofort den Rettungsdienst rufen“, sagt Anett. Die Kursleiterin gibt ihr recht: „Und wenn ihr es nicht gesehen habt und ein anderes Kind erzählt, Jonathan habe Hannes in den Bauch getreten, müsst ihr aus der Situation erschließen, wie ernst es ist.“ Dann schärft sie den Teilnehmenden ein: „Besteht der Verdacht auf eine Bauchverletzung, muss es schnell gehen. Bei einem Milzriss kann man in wenigen Minuten verbluten.“ Die Hemmschwelle, den Rettungsdienst zu rufen, möge zwar hoch sein. „Aber wir spielen nicht mit dem Leben unserer Kinder.“

Esther Stoffregen freut sich darauf, die Fachkräfte zur nächsten Auffrischung in zwei Jahren wiederzusehen: „Ich hoffe ehrlich gesagt, dass ihr das Erlernte bis dahin nicht im Ernstfall anwenden müsst. Außer vielleicht das Fingerkuppenpflaster mit der Katze.“ Die Gruppe lacht – und verlässt die Kita in dem guten Gefühl, im Notfall Erste Hilfe leisten zu können.

Kostenübernahme

Die Kostenübernahme für die „Erste-Hilfe-Schulung in Bildungs- und Betreuungseinrichtungen für Kinder“ ist bundesland-spezifisch geregelt und muss in der Regel im Vorfeld beim zuständigen Unfallversicherungsträger beantragt werden. Detaillierte Infos finden
Sie hier:
www.kinderkinder.dguv.de/kosten

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