Standpunkt„ Armut ist wahnsinnig schambehaftet“

Niemand möchte gern als arm gelten, Kinder erst recht nicht. Paula Wenning vom Kinderschutzbund erklärt, wie Kitas sensibel damit umgehen können.

Ohne Frühstück in die Kita, Schuhe kaputt und keine Winterjacke: Können Erzieherinnen und Erzieher immer auf den ersten Blick erkennen, dass ein Kind arm ist?


Nein, Armut bei Kindern drückt sich sehr unterschiedlich aus – und ist oft nicht unbedingt sichtbar. Die meisten Familien sind sehr darauf bedacht, sich nach außen nichts anmerken zu lassen. Armut ist wahnsinnig schambehaftet. Die wenigsten Menschen würden sich selbst als arm bezeichnen, obwohl sie es statistisch sind. Die Eltern sparen lieber an sich selbst und kaufen dem Kind die guten Gummistiefel.


Wie können Fachkräfte in Kitas dann merken, dass in einer Familie das Geld knapp ist?


Sie sollten sehr sensibel sein und genau hingucken. So gilt es die Ohren zu spitzen, wenn Kinder nicht die passende Kleidung für die Jahreszeit tragen oder immer wieder bei Ausflügen fehlen, die Geld kosten. Statistisch gesehen ist jedes fünfte Kind von Armut betroffen. Das ist auf der Straße auch nicht auf den ersten Blick zu sehen.


Wie sollten Kitas idealerweise damit umgehen?

Am besten ist, das Thema im Kita-Alltag gar nicht erst aufkommen zu lassen. So sollten Kitas stets versuchen, zusätzliche Kosten zu vermeiden. Muss es wirklich der teure Zoobesuch sein? Oft lassen sich auch andere Lösungen finden. Idealerweise muss niemand etwas bezahlen. Kinder sind sehr feinfühlig und wissen genau, wenn ihre Familie wenig Geld hat. Häufig geht damit das Gefühl einher, dass mit ihnen etwas nicht stimmt. Der Mangel beeinflusst ihr ganzes Leben.


Oft wird bei Elternabenden betont, dass kein Kind benachteiligt werden soll. Wer sich einen Ausflug nicht leisten kann, soll sich bitte melden und erhält finanzielle Unterstützung. Ein guter Weg?


Nein, das funktioniert nicht. Da gibt es sicher nicht viele Rückmeldungen. Die Hemmschwelle ist viel zu hoch. Die allermeisten Familien scheuen sich davor, aktiv Leute um Unterstützung zu bitten. Noch schlimmer ist, wenn die Kinder den Zettel mitbringen müssen. Damit werden sie bloßgestellt. Auch keine gute Idee ist, die Eltern offen zu fragen, ob sie arm sind. Da würden die meisten Familien aus Scham sofort abwehren. Zu groß ist die Angst, in eine Schublade gesteckt zu werden.

Kinderarmut stellt auch ein Risiko für die Gesundheit dar. Viele Familien können sich keine Sportangebote oder Hobbys leisten. Den Kindern fehlt es häufig an Bewegung und gesunder Ernährung. Wie können Kitas gegen-steuern?


Wir wissen, dass der Gesundheitszustand von Kindern eng mit der sozialen Herkunft zusammenhängt. Ernährung und Bewegung spielen eine große Rolle. Da gibt es tolle Angebote von Kitas. So stellen Einrichtungen morgens Müsli und Brot bereit – und stellen so sicher, dass alle Kinder mit einem Frühstück in den Tag starten. Eine gute Idee sind auch Kooperationen mit Vereinen, die zweimal pro Woche nachmittags Sport in der Kita anbieten. Da gibt es tolle Leuchtturmprojekte.


Welche Tipps gibt es noch?


Sinnvoll sind auch Kleidungsbasare oder Tauschbörsen. Kitas können eine Kiste bereitstellen, in der Eltern alte Spielsachen oder Klamotten kostenlos abgeben können. So ein Angebot nutzen viele Familien gern. Das ist ja viel nachhaltiger, als alles neu zu kaufen. Gut ist, konkrete Angebote zu machen, ohne ein großes Fass aufzumachen.

Was sollten Kitas tun, wenn sie sich mit dem Thema noch etwas unsicher fühlen?


Fakt ist: Kinderarmut geht jede Kita etwas an. Doch in der Erzieherausbildung kommt das Thema leider viel zu kurz. Wichtig ist, die Fachkräfte dafür zu sensibilisieren und eigene Vorurteile zu hinterfragen. In den Boulevardmedien wird Armut häufig gleichgesetzt mit Menschen, die faul zu Hause rumliegen. Dieses Klischee entspricht überhaupt nicht der Realität, macht aber auch vor Erzieherinnen und Erziehern nicht halt. Tatsache ist, dass jede zweite alleinerziehende Mutter von Armut bedroht ist. Das sind Wahnsinnsdimensionen. Für Erzieherinnen und Erzieher gibt es dazu viele Fortbildungen. Aber ein guter erster Schritt ist schon, sich im Team zusammenzusetzen und gemeinsam zu überlegen: Was können wir besser machen?


Wie wichtig ist Vernetzung?


Kitas sind in der Regel sehr gut vernetzt, stehen in engem Kontakt mit Jugendämtern und anderen Einrichtungen. Sinnvoll ist, nach rechts und links zu schauen. Da gibt es um die Ecke die Sozialberatung oder andere Hilfsangebote. Gemeinsam kann man auftretende Probleme oft besser lösen und sich in schwierigen Fällen Unterstützung und Rat einholen. 

Die Fragen stellte Kathrin Hedtke

Wie können Kitas sensibel mit Kinderarmut umgehen?

  • Auf Ausflüge verzichten, die Geld kosten
  • Offenes Frühstücksbüffet für alle Kinder
  • Kooperationen mit Sportvereinen
  • Tauschkiste für Kleidung oder Spielsachen bereitstellen
  • Genau hinschauen
  • Eigene Vorurteile hinterfragen

Hilfreiche Links finden Sie auch unter:
www.kinderkinder.dguv.de/kinderarmut

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