KURZ GESAGT!
_MINT-Bildung ist mehr als Experimentieren
_Fachkräfte verstehen sich als Lernbegleiter
_Der Träger unterstützt Kitas mit Fortbildungen und einem Netzwerk von Trainern und Trainerinnen
Jeden Mittwoch steht im Kinderzentrum Hügelstraße in Frankfurt „Kochen mit Alex“ auf dem Programm. Bevor es losgeht, flitzen die Kinder zum Händewaschen, Schürzen werden angezogen, der Tisch abgewischt. Heute hat der pädagogische Mitarbeiter Alexander Franke den Kindern eine mit hellgelbem Pulver gefüllte Glasflasche mitgebracht, eine weitere mit gelben Krümeln, dann gibt es eine Schüssel mit Cornflakes und eine Packung eingeschweißten Zuckermais. „Kennt ihr das?“, fragt er und hält die Packung hoch. Maryam weiß natürlich, dass es Mais ist. „Wisst ihr auch, wie Mais wächst?“ Die Jungen und Mädchen überlegen: „Auf Bäumen?“, mutmaßt Oscar. „Nein, das sind so Stangen!“, weiß Aneeq. Der Pädagoge nickt: „Richtig – ich habe ein paar Maispflanzen vom Feld dabei. Die gucken wir uns mal genauer an.“
Kurze Zeit später tragen die Kinder drei riesige Maispflanzen herein. „Wie groß sind die denn?“, staunt Raven. „Miss doch mal nach“, schlägt Alex vor. Maryam, Raven und Stefan müssen den Zollstock zweimal anlegen. Einmal messen sie zwei Meter und noch einmal ungefähr 80 Zentimeter. „Das sind 2,80 Meter. Mehr als doppelt so groß wie du, Raven!“, rechnet Alex vor. Die Kinder sind beeindruckt, sie vergleichen, welche der Maispflanzen die längste ist, ob an ihr die meisten Maiskolben wachsen und wie groß diese sind. Oscar schält einen der Maiskolben aus den Hüllblättern. Blatt für Blatt zieht er nach unten und wundert sich: „Warum ist der Mais denn so oft in Folie gepackt?“ „Das ist keine Folie, sondern die eigene Verpackung vom Mais“, erklärt ihm Alexander Franke, „kennst du noch andere Pflanzen, die du zuerst auspacken musst, bevor du sie essen kannst?“ Oscar braucht nicht lange, bis ihm die Banane einfällt.
„All das ist MINT“, erläutert die Pädagogin Claudia Walter. „Messen, vergleichen, Fragen stellen. Dieses forschende Lernen fördern wir hier.“ Das Team des Kinderzentrums versteht sich als Lernbegleiter und Impulsgeber, die die (Selbst-)Bildungsprozesse der Kinder unterstützen.
Bildungsprozesse begleiten
Claudia Walter hat 2012 eine Trainerausbildung bei der „Stiftung Kinder forschen“ gemacht, die damals noch „Haus der kleinen Forscher“ hieß. Seitdem war sie Trainerin für das lokale Netzwerk Kita Frankfurt und hat pädagogische Fachkräfte zu der ganzen Palette an MINT-Themen geschult. Das Kinderzentrum Hügelstraße, wo sie außerdem als stellvertretende Leiterin tätig ist, wurde kürzlich zum sechsten Mal als MINT-Kita zertifiziert. Wer nun aber erwartet, überall Forscherecken mit Lupen, Mini-Robotern und Experimentierkästen zu finden, wird enttäuscht. Zwar gibt es ein großes Regal mit allerlei Dingen, die das Herz kleiner Forscherinnen und Entdecker höherschlagen lassen, viel Konstruktionsspielzeug zum Erfahren von mathematischen und technischen Grundprinzipien und Material, das keine eindeutige Spiel- und Nutzungsfunktion hat, sondern viel Freiraum und Kreativität zulässt. Aber das eigentliche Erforschen und Entdecken passiert ganz „en passant“. Denn die Kinder gestalten ihre eigenen Lernwege, begleitet von den Fachkräften.
Die Pädagogin verdeutlicht das an einem Beispiel. „Im Frühjahr beginnen immer die Diskussionen, ob die Jacken draußen noch angezogen werden müssen oder nicht. Dann heißt es von den Erwachsenen: Jacke an! Es sind nur 15 Grad! Die Kinder wollten wissen: Was bedeutet das eigentlich? So haben wir mit den Kindern über Temperatur, das Thermometer und das Wetter geforscht. Die Kinder hatten viele Fragen. Zum Beispiel: Warum gibt es die Zahlen auf dem Thermometer doppelt? Was bedeuten das C und das F? Was ist kalt, was warm und warum? Da steckt überall ganz viel MINT-Bildung drin. Die Kinder geben die Themen vor und wir Fachkräfte begleiten sie bei ihrem Lernprozess.“
Die Einrichtung arbeitet nach einem offenen Konzept und ist inklusiv. Partizipation und demokratische Prozesse gehören zum Alltag. „Die Kinder mit besonderen Bedürfnissen profitieren von unserer Grundhaltung der Lernbegleitung vielleicht besonders, da sie ihre Interessen und ihr Tempo weitgehend selbst bestimmen können“, ist die erfahrene Pädagogin überzeugt.
Michi mag keinen Mais
Inzwischen sitzen die Kinder um den Tisch und haben den Mais geschält, mithilfe des Erziehers klein geschnitten und in einen Topf mit Wasser gelegt, damit er gar wird. „Das Wasser ist schon warm“, stellt Maryam fest. „Woran merkst du das?“, erkundigt sich Alex. „Es dampft und da sind so kleine Bläschen!“ „Super beobachtet! Ihr seid richtige Detektive!“
Jetzt ist es an der Zeit, in Augenschein zu nehmen, was Alex heute noch dabeihat. Michi mag zwar keinen Mais, aber die Cornflakes schmecken ihm gut und er knuspert drauflos. Während alle Cornflakes kennen und mögen, sind die Kinder beim Inhalt der beiden Flaschen ratlos. Alex schüttet ein wenig davon in Glasschälchen. Oscar stellt fest: „Das ist ein Pulver!“ und Aneeq vermutet: „Ist das Mehl?“ Der Pädagoge bestätigt: „Ja richtig, und kannst du dir vorstellen, woraus das gemacht ist?“ „Aus Mais, es ist ja gelb.“ Alex nickt: „Richtig! Das ist Maismehl und das andere ist Polenta, so etwas Ähnliches wie Grieß. Der wird auch aus Mais gemacht und man kann daraus Brei kochen.“ Die Jungen und Mädchen kosten vorsichtig – aber mit Cornflakes können Maismehl und Polenta nicht mithalten. „Cornflakes ist englisch und das bedeutet übersetzt Maisflocken“, erklärt Alex. Erstaunte Gesichter. So viele Lebensmittel gibt es, die man aus Mais machen kann! Aber wie wird aus einem Maiskolben eine Maisflocke? Da das eine Frage ist, die sich nicht so einfach beantworten lässt, holt der pädagogische Mitarbeiter ein Tablet und zeigt einen Videoclip der Sendung mit der Maus, in dem genau das erklärt wird.
Netzwerk für MINT-Bildung der Fachkräfte
Alexander Franke hat wie die anderen Erzieher des Kinderzentrums eine Fortbildung für frühe MINT-Bildung gemacht. Der Träger Kita Frankfurt ermöglicht dies den pädagogischen Fachkräften über ein engmaschiges Netz aus speziell geschulten Trainerinnen und Trainern. Die Fachkräfte werden dazu ermuntert, auch darüber hinaus an Webinaren, Workshops und Selbstlernkursen teilzunehmen – was gut angenommen wird. Fast die Hälfte aller Kitas in der Trägerschaft der Stadt sind MINT-Kitas. Alle vier Jahre gibt es für die Teams eine Dienstbesprechung gezielt zu MINT und alle Kitas, die das Zertifikat neu erhalten haben, bekommen im ersten Jahr eine eintägige Inhouse-Schulung dazu. So wird die frühe MINT-Bildung als Bestandteil des pädagogischen Konzepts in den Teams verankert. „Der Aufbau der Fortbildungen ist fast identisch mit dem, wie wir auch mit den Kindern arbeiten. Niemand muss naturwissenschaftliches oder technisches Vorwissen mitbringen. Die Fachkräfte können viel ausprobieren, bekommen aber natürlich auch die Hintergründe vermittelt. Alle, die an diesen Workshops teilnehmen, sind hinterher fasziniert und begeistert“, führt Claudia Walter aus.
Währenddessen ist der Mais gar. Rasch decken die Kinder den Tisch: Für jedes gibt es einen Teller – also werden sieben Teller abgezählt. Wer möchte, bekommt nun ein Stück Mais aufgespießt, kann sich Kräuterbutter nehmen und vergleichen, ob Zuckermais und der vom Feld unterschiedlich schmecken. Michi hat zwar mit Ausdauer die Kräuterbutter gerührt, aber den Mais möchte er trotzdem nicht probieren. Auch Maryam ist nicht begeistert, während Stefan es sich schmecken lässt. „Popcorn!“, sagt er plötzlich nach eingehender Betrachtung eines heruntergefallenen Maiskorns. „Popcorn ist auch aus Mais.“ Und darin sind sich dann wieder alle einig: Das ist wirklich lecker.
Tipp!
Zwölf goldene Regeln zum Forschen mit Kinder unter www.kinderkinder.dguv.de/mais
Rahmenbedingungen für sicheres Experimentieren
- Das Material ist übersichtlich in geeigneten, kippsicheren Regalen oder Schränken verstaut.
- Das Material ist altersgerecht.
- Die Fachkräfte haben die Kinder im Blick (proaktives Aufsichtsverhalten).
- Die Anzahl der Kinder bei Aktivitäten ist sinnvoll beschränkt.
- Die Kinder kennen die Verhaltensregeln zum Umgang miteinander und zur Handhabung der Geräte und Materialien.
- Es besteht im Team ein gemeinsames Verständnis zu Aufsichtsführung, Gefährdungen und Risiken.