Sichere Umgebung schaffenSchlauer durch Aua?!

Kinder in „Watte zu packen“ und vor jeder noch so kleinen Blessur schützen zu wollen, ist der falsche Ansatz, wenn es darum geht, ihnen ein Risikobewusstsein zu vermitteln. Denn sie brauchen Herausforderungen – und eine Umgebung, die kalkulierbare Risiken zulässt.
Ein Teddybär mit einem Pflaster am Kopf.

KURZ GESAGT!

_Nur das Zulassen kalkulierbarer Risiken hilft Kindern, Gefahren einschätzen zu lernen

_Eine sichere Umgebung unterstützt die Selbstständigkeit der Kinder

_Spielplatzgeräte für unter Dreijährige müssen besonders gestaltet sein

Höher, schneller, weiter. Die meisten Kinder im Kita-Alter probieren sich aus und suchen Herausforderungen, sie lieben Wagnisse, wollen Neues erleben und die Welt entdecken – mal geht es gut, mal scheitern sie, nur um es erneut zu versuchen. Nur so lernen sie. Den Erwachsenen stockt dabei manchmal der Atem, sie befürchten, es könne etwas passieren. Manche beobachten die Aktion sehr genau, um im Fall der Fälle schnell eingreifen zu können. Manche unterbinden sie direkt – sicher ist sicher.

Tatsächlich zeigt sich: Nur das Zulassen und die Bewältigung vieler kleiner, überschaubarer Risiken versetzt Kinder nachhaltig in die Lage, mit größeren Risiken angemessen umzugehen – und somit letztlich die Unfallgefahren zu verringern. „Risiken gehören zum Leben dazu“, sagt auch Stefan Hien von der Unfallkasse Saarland. Er besucht als Aufsichtsperson Kitas und weiß, dass es manchmal eine Gratwanderung sein kann, in welchem Rahmen Kindern diese Risiken zugetraut werden können. Für ihn ist es deshalb wichtig, dass die Umgebung so gestaltet ist, dass sie den Kindern im Wortsinne einen geschützten Raum für Erkundungen und Entdeckungen bietet. „Spielzeuge, Spielgeräte, Spielplatzgeräte, Einrichtungsgegenstände und Möbel sowie das Gebäude müssen bestimmten, klar definierten Standards entsprechen“, erklärt er. „So werden unnötige und für Kinder nicht erkennbare Risiken minimiert.“

Die Risikoakzeptanz ist insbesondere bei Spielangeboten entscheidend. Kinder sollen die Chance haben, sich mit vertretbaren Risiken auseinanderzusetzen und so in einer sicheren, aber herausfordernden Umgebung zu lernen. Hien: „Dabei gilt es, die Balance zu halten zwischen der Notwendigkeit, Risiko anzubieten, und der Notwendigkeit, das Kind vor schwerwiegenden Verletzungen zu schützen.“ Kein Kind müsse die Erfahrung machen, dass ein Schrank umkippt, wenn es daran klettert, oder dass es seinen Körper durch ein Geländer steckt und stecken bleibt. Jedes Kind habe zwar ein Recht auf seine Beule, aber es gelte, schlimmere Verletzungen zu vermeiden, die vielleicht sogar Spätfolgen nach sich ziehen können, so der Experte. „Deshalb gibt es sinnvolle Normen und Vorschriften.

Sichere Innenräume

Einrichtungsgegenstände in Kitas müssen deshalb so gestaltet und gesichert sein, dass sie bis zu einer Höhe von zwei Metern keine Verletzungsgefahren durch scharfe Kanten, Ecken oder hervorstehende Haken bergen. Kanten sollten deutlich abgerundet oder abgeschrägt sein. Bewegliche Möbelteile wie Schranktüren dürfen keine Quetsch- oder Schergefahren für Kinder darstellen. Regale, Schränke und ähnliche Möbelstücke müssen kipp- und standsicher aufgestellt sein. Hien ergänzt: „Rollbare Elemente benötigen funktionierende Feststellvorrichtungen und sollten keine Stolperstellen bilden, und Schubladen müssen so gesichert sein, dass sie nicht herausfallen können, wenn ein Kind daran zieht.“ Zudem sollte man dringend ergonomisches Mobiliar verwenden, sowohl für Kinder als auch für das Personal. Das stelle zwar kein besonderes Plus in Sachen Sicherheit dar, zahle jedoch auf das Konto der Gesundheit ein.

Tageslicht ist ein wichtiger Aspekt, um die Innenräume von Kitas angenehm auszuleuchten; große Fenster und lichtdurchlässige Türen sind deshalb gerade in neuen Gebäuden weitverbreitet. Allerdings: Glasflächen müssen bruchsicher sein – und so markiert, dass niemand versehentlich dagegen rennt. „Fenster dürfen für Kinder keine Gefahr darstellen, weder im geschlossenen noch im geöffneten Zustand“, sagt Stefan Hien. Da die Gegebenheiten in den Kitas sehr unterschiedlich seien, müsse die Leitung eine Gefährdungsbeurteilung erstellen, um die Risiken zu ermitteln und Sicherheitsmaßnahmen abzuleiten. Der Fachmann der Unfallkasse Saarland erläutert: „Das gilt natürlich nicht nur für die Fenster, sondern ganz generell.“

Für Spiel(platz)geräte gelten bestimmte Normen

Also auch für Spielgeräte – ganz gleich ob drinnen oder draußen. „Auch hier gibt es bestimmte Normen. Zum Beispiel Höhen und andere Maße, die für die Sicherheit entscheidend sind und eingehalten werden müssen“, erklärt Stefan Hien und nennt als Beispiel die Fallhöhe eines Spielpodests: „Ab einer Höhe von 60 Zentimetern muss bei leicht zugänglichen Spielplatzgeräten eine Brüstung vorhanden sein.“

Für Kinder unter drei Jahren müssen Spielplatzgeräte wie Rutschen, Rampen und Treppen besonders gestaltet sein. Sie sollten entweder so gebaut sein, dass die Kleinen sie nur schwer erreichen können, oder – wenn sie leicht zugänglich sind – den Sicherheitsstandards und Normen entsprechen. Ein für die Krippenkinder vorgesehener Außenbereich mit eigenen Geräten ist unter dem Aspekt der Aufsichtsführung praktisch. „Es ist auch in Ordnung, wenn kleinere Kinder Geräte nutzen, die eigentlich nicht für sie gedacht sind. Sie müssen dann aber aktiv beaufsichtigt werden“, sagt Stefan Hien. „Die Fachkräfte wissen in der Regel, welchem Kind sie was zutrauen können – das Alter ist immer nur eine Orientierung. Es gibt Zweieinhalbjährige, die sind motorisch weiter als Vierjährige. Und oft ist es auch von der Tagesform abhängig.“ Dies alles gelte es zu berücksichtigen. Falls doch einmal ein Kind einen unsanften Abgang vom Klettergerüst macht, ist ein ausreichender Fallschutz notwendig, damit es zu keinen ernsthafteren Verletzungen kommt.

Für Kinder unter drei Jahren müssen Spielplatzgeräte wie Rutschen, Rampen und Treppen besonders gestaltet sein.

Und was ist mit Kletterbäumen, die sich jeder DIN-Norm entziehen? „Die dürfen stehen bleiben!“, schmunzelt der Experte und führt aus, dass der Baum natürlich geeignet sein muss, also frei von Fangstellen ist, am besten schon im unteren Bereich Äste hat und dass die Kinder nicht höher als drei Meter klettern sollten. „Das kann man zum Beispiel durch Markierungen erreichen.“ Außerdem muss rings um den Baum ausreichend viel Freiraum und der Boden mit Rindenmulch oder ähnlichem Material bedeckt sein.

Gutes, altersgerechtes Werkzeug nutzen

Sollten Kinder mit scharfen Messern schnitzen oder mit richtigen Sägen hantieren dürfen? Stefan Hien weiß, dass es bei einer Beurteilung vor allem auf die Fähigkeiten und den Entwicklungsstand des jeweiligen Kindes ankommt. „Die Entscheidung darüber, welches Werkzeug ein Kind nutzen darf, muss in der Kompetenz der pädagogischen Fachkraft liegen.“ Er rät dazu, Kindern altersgerechtes Werkzeug zur Verfügung zu stellen, das von guter Qualität ist. Das sieht man etwa am GS- und dem „Spiel gut“-Siegel. Wichtig sei, so Hien, dass die Fachkräfte klare, nachvollziehbare Regeln für die Benutzung aufstellen und deren Einhaltung konsequent einfordern. „Außerdem ist es eine gute Idee, wenn Kinder unter Aufsicht das richtige Hantieren mit dem Werkzeug lernen und zum Beispiel einen Werkzeugführerschein machen.“ Trotzdem müssen potenziell gefährliche Werkzeuge wie Sägen und Handbohrer unzugänglich aufbewahrt werden.

Wenn es eingangs hieß, Kinder bräuchten eine Umgebung, die kalkulierbare Risiken zulasse, dann sind damit auch die pädagogischen Fachkräfte gemeint. Ihr Verhalten und ihre Haltung sind für das Erlernen von Risikokompetenzen von ebenso großer Bedeutung wie sicheres und geeignetes Mobiliar, Werkzeug und Spiel(platz)geräte.

TIPP!

Alle Vorschriften dazu sind in der Spielplatzgeräte-normreihe DIN EN 1176, in der DGUV Information 202-022 „Außenspielflächen und Spielplatzgeräte“ (Web-code: p202022), in der DGUV Regel 102-602 „Branche Kindertageseinrichtung“ (Webcode: p102602) und in der DGUV Information 202-093 „Die Jüngsten in Kindertageseinrichtungen sicher bilden und betreuen“ (Webcode: p202093) nachzulesen.

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