„Ich bin dann eben Mutti“

KURZ GESAGT!

_Von der Zusammenarbeit älterer und jüngerer Fach­kräfte im Team profitieren alle – vor allem die Kinder

_Wertschätzender Umgang miteinander, Kommunika­tions­ und Kritikfähigkeit sind entscheidend

_Erfahrene Erzieherinnen und Erzieher müssen sich Offenheit für Veränderungen bewahren

Mit 64 Jahren ist Regina Dillert die „Alters­präsidentin“ in der Evangelischen Kita „Kleine Wikinger“ in Busdorf bei Schleswig. Und vor allem ist sie „die gute Seele“, wie Sonja Joswig ihre Mitarbeiterin nennt. Die Kitaleiterin spricht liebevoll von ihren „Schätzen“, wenn sie über die Erzieherinnen spricht. Sie alle würden ihre Persön­lichkeiten mitbringen, ihre Fähigkeiten und ihre Quali­täten. Wobei die älteren Fachkräfte für sie, das merkt man, schon besondere Schätze sind. Und die wollen gehegt und gepflegt sein.

Regina Dillert arbeitet schon seit mehr als 30 Jahren als Erzieherin. Früher, blickt sie zurück, habe sie viel Zeit auf dem Fußboden verbracht oder auf den kleinen Holzstühlchen, die es damals noch in den Gruppenräumen gab. Heute zeugen Rücken und Knie davon. „Den Ver­schleiß merke ich schon“, sagt sie. Ihre Arbeits­zeit hat sie deshalb auf 25 Stunden pro Woche reduziert. Alles, das räumt sie ein, kann sie nicht mehr machen. Muss sie auch nicht. Vom regulären Gruppendienst ist sie befreit, stattdessen küm­mert sie sich liebevoll um den Essensraum, den alle in der Kita nur „Restaurant“ nennen. Den Raum deko­rieren, den Tisch decken, Obst und Gemüse schneiden, Geschirr spülen – das sind jetzt ihre Hauptaufgaben. Und, ganz wichtig, Gespräche mit den Kindern: „Ich bin für sie der Kummer­kasten.“

Mit ihrer Tätigkeit ist sie eine wertvolle Entlas­tung für die anderen Fachkräfte. Jede Kollegin kommt mit ihren Kindern beim freien Frühstück zwischen 8 und 10:30 Uhr bei Regina im Restau­rant vorbei. Für alle hat sie ein freundliches Wort und insbesondere für ihre jüngeren Kolleginnen immer auch ein offenes Ohr. Oder, wie sie es selbst schmunzelnd ausdrückt: „Ich bin dann eben Mutti.“

Das Repertoire ist im Kopf statt im Internet


Noch dazu springt Regina Dillert im Gruppen­dienst ein, wenn es personelle Engpässe gibt. Was sollen wir singen? Was können wir spielen? Sie braucht dafür kein Smartphone, kein You­tube oder Pinterest. Sie hat ein großes Repertoire im Kopf und ein Gespür dafür, was gerade passend ist und gut ankommt.


Diese Leichtigkeit hinterlässt Eindruck bei den jüngeren Fachkräften. Zu ihnen gehört Nicole Bendixen. „Wenn man neu in den Beruf star­tet, ist man unsicher“, blickt die 27­-Jährige auf ihre Anfänge zurück. Da habe sie schon Res­pekt gehabt, wenn die erfahrenen Kollegin­nen den Morgenkreis gemacht oder spontan etwas gebastelt hätten. „Wie locker die das machen …“, habe sie gedacht.


Nicole Bendixen profitiert von der Lebens­ und Berufserfahrung der routinierten Kolleginnen. Umgekehrt bringen die Jüngeren neues Fach­wissen ins Team ein. „Es ist ein gegenseiti­ger Austausch“, sagt die Sozialpädagogische Assistentin (SPA). Letztlich sei die Kommuni­kation entscheidend, ob man sich auf einen Ansatz einige oder vielleicht gemeinsam eine neue Lösung finde. „Beide Seiten müssen Kom­promisse eingehen“, sagt Nicole Bendixen. Wichtig seien ein wertschätzender Umgang und die Fähigkeit, konstruktive Kritik anzunehmen. „Ein ‚Du hättest es auch so machen können‘ heißt ja nicht, dass ich es schlecht gemacht habe. Aber ich hätte es auch anders machen können und das wäre vielleicht besser gewesen.“


Fragend Schwachstellen aufdecken und Kritik äußern

Susi Keller­Sievers trägt ihre Kri­tik in Dienstbesprechungen so vor, dass sich niemand verletzt fühlt. Meist macht sie das in Form von Fra­gen. Sie ist gut darin, Schwachstellen aufzu­decken, und beharrlich darin, sie abzustellen.
Eine Sicherheitsbeauf­tragte, wie sie sich jede Kitaleitung wünscht. Und noch dazu eine 57­-Jäh­rige, die ihre Erfahrungen gerne mit der jüngeren Generation teilt, Veränderungen aber gleichzei­tig offen gegenübersteht. „Kinder dürfen jetzt mitentscheiden, was ihnen guttut und wozu sie Lust haben. Das finde ich toll, weil sie als Persön­lichkeiten wahrgenommen und in ihren Fähigkei­ten gefördert werden“, gibt die zweifache Mutter und Großmutter ein Beispiel.

Was sich nicht geändert hat, ist ihr Einsatzge­biet. Susi Keller-­Sievers arbeitet im Krippenbe­reich. „Man hat seine Wehwehchen, das bringt der Beruf mit sich. Aber ich bin gesund.“ Was viel mit der Liebe zu ihrem Herzensberuf zu tun habe, aber auch damit, dass sie sich in der Freizeit viel bewege, sich gesund ernähre und im Beruf auf sich achte. „Wie setze ich mich hin? Wie bücke ich mich? Mehr in die Knie gehen und nicht aus dem Rücken heben“, veranschaulicht sie.


Darüber hinaus unterstützt der Träger das Kita­personal der „Kleinen Wikinger“ mit ergonomi­schen Arbeits­- und Hilfsmitteln. So hat jede Erzie­herin ihren eigenen, auf sie abgestimmten Stuhl. Die Fachkräfte im Krippenbereich haben Yoga­kissen, damit ihnen das Knien leichterfällt und weniger belastend ist. An der Garderobe gibt es eine Anziehhilfe, auf die die Kinder klettern kön­nen, damit sich die Erzieherinnen beim Zubinden der Schuhe nicht bücken müssen. Zudem sind die Wickeltische mit Treppen ausgestattet. Susi Keller­-Sievers rät den jüngeren Kolleginnen, es so zu handhaben wie sie: „Hebt die Kinder nicht vom Wickeltisch, lasst sie die Treppe runterkrab­beln.“ Schließlich wickle man täglich und das Heben belaste Schultern und Rücken.

Damit ihr das Knien im Krippenbereich leichterfällt, benutzt Susi Keller-Sievers ein Yogakissen.


Das Team erleichtert es ihr, motiviert und mit Spaß zur Arbeit zu kommen. „Wir sind unter­schiedliche Charaktere und sind nicht immer alle einer Meinung“, sagt Susi Keller­-Sievers. „Wir können aber andere Meinungen akzeptie­ren und finden auf Augenhöhe zueinander, weil wir das gleiche Ziel verfolgen.“

Projekt „Brücken bauen“ hilft beim besseren Verständnis


Nicht immer war das Betriebsklima so gut. Kitaleiterin Sonja Joswig spürte vor einiger Zeit Konfliktpotenzial zwischen den Generationen: „Deshalb haben wir uns professionell begleiten lassen, damit es gar nicht erst hochkocht.“ Sie machte mit ihrem Team beim Projekt „Brücken bauen“ der Landesvereinigung für Gesund­heitsförderung in Schleswig­Holstein und der Unfallkasse Nord mit. Bei der Fortbildung ging es nicht um pädagogische Themen, sondern um die Zusammenarbeit in altersgemischten Teams und ein bes­seres Verständnis für die Kolleginnen in ihren verschie­denen Lebenspha­sen. Vereinfacht gesagt: Während die Mittzwanziger sich mit Familienplanung oder Hausbau beschäftigen, interessiert die 60-­Jäh­rigen eher, wie sie gesund in die Rente kommen.


Das Ergebnis der Schulung: „Die Stimmung ist jetzt ganz anders, es ist deutlich harmonischer geworden“, sagt Sonja Joswig. „Wir können uns besser in die anderen hineinversetzen.“ Außer­dem habe man gelernt, Berufliches von Priva­tem zu trennen, und Teamregeln aufgestellt: Wenn etwas nicht gut läuft, wird es untereinan­der angesprochen und geklärt.


Die Offenheit, Dinge anzusprechen, schätzt Sonja Joswig an den erfahrenen Erzieherinnen. „Sie sind nicht nur Frau und Erzieherin, son­dern auch Mutter und vielleicht Großmutter. Sie haben einen ganz anderen Erfahrungsschatz und vermitteln das den jüngeren auf eine nette Weise. Sie tun dem Team damit einfach gut“, sagt die 44-­jährige Kitaleiterin. Umgekehrt könnten die jüngeren Fachkräfte besser mit Ver­änderungen umgehen und seien nicht so eingefahren. Beide Seiten würden also voneinander profitieren und sich ergänzen.

Offene Arbeit: Die Skepsis ist gewichen


„Der Beruf hat sich sehr verändert“, sagt Regina Dillert. Sie würde ihn aber immer wieder wäh­len: „Morgens anzukommen, die Freude, die Erwartung, die herzliche Begrüßung der Kinder – das macht mir immer noch viel Spaß.“
Als ältere Fachkraft müsse man aber auch selbst Offenheit für Neues mitbringen. „Ich lerne heute noch dazu – auch wenn es mir schwererfällt als früher“, sagt die 64­-jährige „Restaurant­-Che­fin“. So musste sie sich erst überzeu­gen lassen von der Umstellung von fes­ten Gruppen auf die offene Arbeit. Lärm und Chaos habe sie erwartet. Doch das Gegenteil war der Fall: „Die Kinder sind entspannter und ruhiger, weil sie dahin gehen können, wo sie spielen oder ihre Freunde treffen möchten.“


Regina Dillert jedenfalls gefällt die Mischung aus jüngeren und älteren Kolleginnen, aus alten und neuen pädagogischen Ideen: „Die Jungen bringen einen Schwung mit, der mich mitreißt. Ich kann ihnen noch etwas beibringen, mir aber auch etwas von ihnen abgucken. Am meisten profitieren aber sicher die Kinder.“