Gewalt gegen Fachkräfte

Der Umgang mit Eltern kann schwierig sein. Was können Erzieherinnen und  Erzieher tun, damit es nicht zu heiklen Situationen kommt?

Volker Haupt: Eine gute Beziehung zu den Familien aufbauen, eine vertrauensvolle Atmosphäre schaffen und einen offenen Austausch mit den Eltern pflegen. Das wären die Deeskalationsstrategien im Vorfeld. Es ist sinnvoll, solche Verhaltensregeln im gegenseitigen Umgang in einem Kita-Konzept oder Kita-Kodex festzulegen. In Aachen etwa sind diese Kommunikationsstandards im „Sicherheitskonzept Gewaltprävention“ verankert, sie sind somit auch für die städtischen Kitas bindend.

Warum kann es dennoch zu aggressivem Verhalten kommen?

Ihre Kinder sind das Wichtigste, was Eltern haben. Da spielen Emotionen stark mit rein. Deshalb ist die Gefahr groß, dass Eltern emotional reagieren oder auch mal ausfallend werden. Es ist in solchen Situationen oft hilfreich, ihnen zu spiegeln, was ich wahrnehme: „Ich merke, Sie sind aufgebracht. Was ist denn los?“

Wie sollte man mit aufgebrachten oder aggressiven Eltern reden?

Gewaltfreie Kommunikation, bejahendes Zuhören beispielsweise, ist eine gute Technik. Also: „Mhm … Ah ja … Erzählen Sie weiter! Das möchte ich mir kurz aufschreiben.“ Während Eltern dann ihren Frust loswerden, sollte man ruhig und sachlich bleiben: „Das habe ich verstanden.“ Wobei Verstehen nicht zwangsläufig bedeutet, dass man einverstanden sein muss. Aber man sollte das Anliegen der Eltern ernst nehmen.

Was, wenn das nicht funktioniert?

Manchmal muss man auch klare Kante zeigen: „Ich möchte nicht, dass Sie so mit mir reden.“ Und wenn das Elternteil weitermacht, muss ich Grenzen setzen und die Person auch mal aus dem Büro oder der Kita verweisen: „Das war’s jetzt, das Gespräch brechen wir an dieser Stelle ab. Wenn Sie mögen, können wir gern morgen
telefonieren.“

An wen können sich Kitas wenden, um Unterstützung im Umgang mit schwierigen oder gewaltbereiten Eltern zu erhalten?

Es gibt den Träger und dessen Führungskräfte, die der Kita den Rücken stärken sollten. Es gibt die kollegiale Beratung unter Kitaleitungen, die sich über das Vorgehen austauschen. Außerdem besteht die Möglichkeit, sich Fachkräfte ins Haus zu holen. Supervisionen zum Beispiel gehören bei vielen Trägern zum Standard. Auch die Zusammenarbeit mit der Polizei oder dem Jugendamt ist möglich. Häufig geht Gewalt – also aggressives Verhalten der Eltern – mit Kindeswohlgefährdung einher, dann arbeitet man ohnehin mit dem Jugendamt zusammen.

Lässt sich im Vorfeld erkennen, dass eine Situation kippen kann?

Haupt: Man erkennt es an der Kommunikation. Das kann die Körpersprache sein, wenn sich Eltern anders durch die Kita bewegen als sonst. Oder wenn Eltern nicht mehr kommunizieren und man sich wundert, warum der Austausch nicht mehr stattfindet. Vorboten können auch sein, dass Eltern die Kita meiden oder schnippische Bemerkungen machen. Das deutet auf Unzufriedenheit hin. Man tut gut daran, diese Dinge unmittelbar anzusprechen oder Gesprächstermine anzubieten. Manchmal erzählen auch die Kinder etwas von zu Hause, das einen stutzig macht. Auch das sollte man ansprechen: „Wir sind verwundert: Ihr Kind hat das und das erzählt.“

Was sind denn typische Situationen, die eskalieren können?

In meinen Seminaren erarbeite ich mit den pädagogischen Fachkräften die Trigger der Eltern. Was könnte die Eltern an eurer Kita ärgern? Und umgekehrt: Was ärgert euch an den Eltern? Der Perspektivwechsel ist spannend. Trigger sind oft fehlende Informationen. Also: Wenn ein Kind hingefallen ist, aber augenscheinlich nichts Schlimmes passiert ist und das Kita-Personal die Info nicht an die Eltern weitergegeben hat. Abends bemerken die Eltern dann einen Kratzer, eine Beule oder einen blauen Fleck. Sie sind dann – zu Recht – sauer und fragen: Warum informieren Sie uns nicht, dass etwas passiert ist?

Wie oft kommt eigentlich aggressives Verhalten seitens der Eltern vor?

Wir haben in Aachen ein „Sicherheitskonzept Gewaltprävention“ für unsere 5.600 Beschäftigten der Stadtverwaltung erarbeitet. Man muss klar sagen: Aggressives Verhalten in Kitas ist die Ausnahme, das Aufkommen solcher Situationen ist verschwindend gering.

Deshalb hat bisher in Kitas noch kein Deeskalationstraining stattgefunden, was sich aber ändern soll, wenn es die pandemische Lage wieder zulässt. In den Seminaren, die ich für das Bildungswerk Aachen durchführe, habe ich die Selbstverteidigung komplett rausgenommen. Da lohnt es sich eher, in Richtung Kommunikation und Beziehungsarbeit zu schauen: Wie gehe ich auf Familien zu? Wie begrüße und verabschiede ich jemanden? Wie setze ich gelassen Grenzen?