Wenn der Flur zum Begegnungsort wird

KURZ GESAGT!

_Angebot soll Familien animieren: erst mitmachen, dann zu Hause nachmachen

_Eltern kommen untereinander und mit Fachkräften ins Gespräch

_Pädagogische Inhalte werden nebenbei vermittelt

„Ich hab voll getroffen! Über meinen Bruder drüber!“, ruft Luis und geht stolz zu seiner Mama. „Toll gemacht“, lobt Angela Nowak ihren sechsjährigen Sohn, während sie ihre jüngeren Kinder Eliano (1) und Amaia-Joly (2) im Blick hat. Luis hat getroffen. Mit dem Stoffball in die Kiste. Ein bisschen wie beim Basketball.

Sportlich geht es hier in Mannheim den Nachmittag über zu. Abholzeit. Der Flur hat sich in eine kleine Oase für Bewegungs- und Geschicklichkeitsspiele verwandelt. Allzu viel Platz ist zwar nicht, aber sie lassen sich eben etwas einfallen in der Kita des Evangelischen Eltern-Kind-Zentrums Kieselgrund, um den Raum optimal zu nutzen. Amelie versucht, auf dem Deckel des präparierten Schuhkartons die passende Öffnung für einen kleinen Plüsch-Pompon zu finden. Mila stolziert auf einem Seil, das geschlängelt auf dem Boden liegt. Bünyamin jongliert beim Eierlaufen eine Kugel auf einem Löffel. David ertastet Gegenstände wie Bälle, Bausteine oder kleine Kuscheltiere in einem Wäschekorb. Die Brüder Yared und Elias balancieren in ihren Batman-Shirts über Bänke und springen anschließend auf eine Turnmatte. Und Luis wirft halt mit Stoffbällen. Mit dabei sind Erzieherinnen und Erzieher – und immer auch die Eltern.

Eltern können Spiele zu Hause nachmachen

„Die einzelnen Stationen sind darauf ausgelegt, dass die Eltern das zu Hause nachmachen können“, erklärt Karin Janke. „Es geht ja darum, dass sich Eltern und Kinder gemeinsam bewegen sollen. Ohne viel Aufwand.“ Die Erzieherin hat für diesen Tag die Spiele ausgesucht. Das Thema liegt ihr am Herzen. Da Karin Janke auch Übungsleiterin im örtlichen Turnverein ist, kennt sie sich damit bestens aus.

„Fluraktion“ nennen sie das in der Kita Kieselgrund, wenn Eltern und Kinder Zeit miteinander verbringen. Einmal im Monat ist das der Fall. Montags zur Abholzeit kommen die Eltern in den Flur und beschäftigen sich dort mit ihren Kindern. Mal bleiben sie nur ein paar Minuten, mal eineinhalb Stunden – je nachdem, wie viel Zeit und Lust sie haben. Die pädagogischen Fachkräfte bereiten dafür bestimmte Themen vor. Eltern und Kinder widmen sich dann zum Beispiel der gesunden Ernährung, sie machen gemeinsam kleine wissenschaftliche Experimente, lesen aus Büchern oder lassen sich an Tablets zeigen, wie Medien richtig und sinnvoll eingesetzt werden können.

Oder sie bewegen sich. „Manches erklären wir. Manches machen die Kinder von allein. Manches erklären die Kinder den Eltern“, fasst Karin Janke die Vorteile des Angebots zusammen. „Bewegung funktioniert unabhängig von der Nationalität immer gleich. Das kann die Sprache ersetzen.“

Für die Mannheimer Kita ist das ein wichtiger Aspekt. „Mit Sprache oder geschriebenen Worten erreichen wir die Eltern oft nicht“, weiß Kitaleiterin Claudia Hauschild. Sei es, weil sie kaum oder gar kein Deutsch verstehen oder weil sie aus bildungsfernen Schichten kommen. „Wir müssen also versuchen, wichtige Dinge in einer möglichst einfachen Form zu verpacken, um sie zu vermitteln“, sagt Hauschild. So war die Idee zu den Fluraktionen geboren.

Die Erzieherinnen und Erzieher sind davon begeistert. „Ich habe noch nie so fröhliche Eltern gesehen“, sagt Karin Janke. „Die Fluraktionen sind eine Bereicherung für die Eltern und für das Kollegium.“

Auch bei den Eltern sind diese besonderen Nachmittage ein Volltreffer. „Die Kita lässt sich immer etwas Neues einfallen, das finde ich super“, sagt Verena Barton. Sie ist ganz überrascht, wie gut ihre zweijährige Tochter Lima schon balancieren kann. „Das hat sie mir zu Hause noch nie gezeigt.“ Die Abwechslung bei den Fluraktionen kommt bei Nurcan Tanis gut an: „Ich sehe zu, dass ich dann da bin“, sagt sie. „Und man kommt mit anderen Eltern in Kontakt.“ Özlem Yorgun gefällt es ebenfalls, andere Eltern kennenzulernen: „Und die Kinder freuen sich, das ist das Wichtigste.“ Nikolina Vragolovic mag die „super Aktion. Es sind immer gute Ideen dabei, auf die ich von allein nicht kommen würde. Wir machen das dann auch zu Hause nach.“

Tipps für die Nutzung von Youtube und Co.

Als multimedialer Ideengeber tritt Paul Heitmann auf den Plan. Der Erzieher, der berufsbegleitend Medienpädagogik studiert, hat dafür Laptop und Tablet im Flur aufgestellt. Bilder für Kids-Yoga oder Mini-Work-outs sind auf den Bildschirmen zu sehen. „Youtube ist nicht nur da, um zu konsumieren“, macht er deutlich, spricht die Eltern aktiv an und gibt ihnen Tipps: „Man kann es auch anders nutzen. Warum nicht mal Videos aufrufen, um zehn Minuten Sport zu machen?“

Im Flur herrscht derweil reges Treiben. Aber es ist eben nicht das übliche Kommen und Gehen der normalen Abholsituationen. Stattdessen bieten sich Gelegenheiten, die Mütter und Väter von einer neuen Seite kennenzulernen. Claudia Hauschild erzählt exemplarisch von einer Spieleaktion. Dabei sei eine Mutter regelrecht aufgeblüht, von der sie es gar nicht erwartet hätte: „Tatsächlich saß sie dann eineinhalb Stunden mit ihrem Kind da und hat Gesellschaftsspiele gespielt.“ Diese Art Exklusivzeit zwischen Eltern und Kindern wollen sie erreichen, „weil das im Alltag zu Hause oft verloren geht“, erläutert die Kitaleiterin.

Zudem erfahren die Fachkräfte in der lockeren Atmosphäre, wo bei den Familien der Schuh drückt. Ganz nebenbei bekommen sie mit, ob es finanzielle oder gesundheitliche Probleme gibt, wie die jungen, alleinerziehenden Mütter zurechtkommen oder wie sich die Großfamilien in ihren kleinen Wohnungen arrangieren. „Manchmal denke ich, dass wir zu viel erwarten von den Eltern. Als Team müssen wir uns oft in ihre Situation versetzen. Da ist das Thema eben nicht die Matschhose des Kindes, sondern wie sie die nächste Stromrechnung bezahlen sollen“, sagt Claudia Hauschild. „Aber: Wir können nicht alles für die Eltern richten und versuchen, sie nicht zu sehr aus der Verantwortung zu entlassen. Wir suchen einen Mittelweg.“

Klassische Elternabende haben ausgedient

Kreativität und Flexibilität sind auch bei anderen Aspekten der Elternarbeit gefragt. Beispielsweise hat die Kita Kieselgrund feste Bringzeiten abgeschafft. „Das hat uns die Nerven kaputtgemacht und den Eltern auch. Am Ende war man dann wütend aufeinander“, sagt Claudia Hauschild. Jetzt ist der Umgang wesentlich entspannter.

Auch die klassischen Elternabende, bei denen eine Erzieherin erzählt und die Eltern im Kreis sitzen und mehr oder weniger interessiert zuhören, haben ausgedient. Stattdessen haben sie zuletzt Eltern und Kinder zusammen eingeladen. Die Kinder zeigten ihren Eltern dann in den Gruppen, was sie gern spielen. „Das hatte einen ganz anderen Charakter, war fröhlich und lustig“, berichtet Claudia Hauschild und ergänzt: „Wir suchen weiter nach neuen Formaten.“ Demnächst wollen sie ausprobieren, an einem Elternabend mehrere Themen vorzustellen. „Wie eine Fluraktion im größeren Rahmen.“