Digitale Bildung fürs Team

Oft fühlen sich pädagogische Fachkräfte mit der berechtigten Forderung nach frühkindlicher Medienerziehung überfordert und lehnen eine Auseinandersetzung damit erst mal ab. Wie kann man diesen Vorbehalten begegnen?

Jasmin Block: Wir haben hier einen grundlegenden Paradigmenwechsel. Noch vor einigen Jahren hieß es, die Kita soll ein Schutzraum sein, wo digitale Medien nicht erwünscht sind. Heute heißt es, frühe digitale Medienbildung ist bedeutsam und wichtig. Da ist die Verunsicherung verständlich. Nach meiner Erfahrung kann der erste Schritt zu einer Öffnung über die mittelbaren pädagogischen Tätigkeiten gehen.

Was bedeutet das?

Die Erzieherinnen und Erzieher nutzen Tablets als Werkzeuge und Arbeitsmittel etwa für die Dokumentation oder Portfolio-Arbeit. Sie merken, dass digitale Geräte und Medien in der Kita positiv besetzt sein können. Der Sprung vom „Schutzraum Kita“ zur „digitalen Kita“ ist dann nicht so gewaltig, sondern erfolgt über einen Zwischenschritt.

Das heißt, die Fachkräfte nutzen digitale Geräte zunächst gar nicht im pädagogischen Kontext?

Genau. Und trotzdem befürchten manche Fachkräfte, dass sie ein schlechtes Vorbild sind, wenn sie hinter dem Tablet verschwinden, da viele Kinder das auch zu Hause erleben, wo es womöglich einen weniger reflektierten Umgang mit digitalen Medien gibt. Wir wissen ja, dass Kinder ungünstiges Mediennutzungsverhalten übernehmen. Dabei können die Fachkräfte ein hervorragendes Vorbild sein, indem sie das Tablet wieder weglegen, sobald die Aufgabe erledigt ist. Damit zeigen sie klare Alternativen zu einem hedonistischen Medienkonsum.

Vor einer pädagogischen Nutzung von Tablets und Co. muss sich das Kitateam gesamtheitlich darauf verständigen und ein Konzept dazu machen. Wie schafft man das?

Das Team sollte für sich klären: Was wollen wir und was auf keinen Fall? Was ist uns wichtig? Wo sehen wir Stolperfallen? Man muss nicht gleich alles wissen, sondern kann sich mit den Kindern gemeinsam auf den Weg machen und sich herantasten. Frühe Medienbildung hat verschiedene Komponenten, eine davon ist reflektiv. Das bedeutet, man greift die Medieninhalte auf, die Kinder zu Hause konsumieren, und spricht darüber. Das können auch diejenigen machen, die sich den direkten Umgang mit Tablet und Apps nicht zutrauen und das Thema skeptisch sehen. Teamfortbildungen sind hilfreich, da sie spezielle Bedürfnisse und Ansprüche der Kita berücksichtigen können. Es gibt kein allgemeingültiges Erfolgsrezept.

Werden sich alle Kitas mit diesem Thema auseinandersetzen müssen?

Ich denke schon. Die Fachöffentlichkeit ist sich einig, dass frühe digitale Medienbildung sein muss, um in unserer Lebenswirklichkeit gut gerüstet zu sein. Es ist an der Zeit, sich zu öffnen.

Gemeinsames Verständnis entwickeln

Wenn der kleine Sebastian am Tablet sitzt, ist er beschäftigt und die Erzieherinnen und Erzieher müssen sich nicht mehr um ihn kümmern. Eine solche Vorstellung ist unter den Eltern weitverbreitet, weiß Theresa Lienau. Sie leitet bei der Stiftung Digitale Chancen das von der Stiftung Ravensburger Verlag geförderte Projekt „Medienerziehung im Dialog von Kita und Familie“: „Die größte Sorge ist, dass digitale Medien unkoordiniert oder zu Unterhaltungszwecken eingesetzt werden.“ Mit Medienerziehung hat das allerdings nichts zu tun. Ebenso wenig wie die Herangehensweise so mancher Familie, den Medienkonsum des Sprösslings daheim bloß zeitlich zu regulieren ohne die Inhalte zu kontrollieren.

Beim medienpädagogischen Ansatz liege der Fokus vielmehr darauf, „dass Kinder die kreative, gestalterische Mediennutzung erlernen“, sagt Theresa Lienau. Langfristiges Ziel sei es, Kinder zu ermächtigen, kritisch-reflektiert und selbstbestimmt mit Medien umzugehen. „Die populäre, konsumorientierte Ansicht und den medienpädagogischen Ansatz auf einen Nenner zu bringen, ist die Herausforderung, vor der die Fachkräfte stehen.“ Es sei eben ein riesiger Unterschied, ob ein Kind allein YouTube-Videos gucke oder ob es gemeinsam mit anderen in der Gruppe versuche, auf dem Tablet herauszufinden, ob auch Elefantenbabys schon Stoßzähne haben. „Wenn Eltern verstehen, dass es sich dabei um völlig unterschiedliche Situationen handelt, sind die Widerstände meist nicht mehr so groß“, erklärt die Medienforscherin.

Kinder bestimmen mit einem Tablet Blätter aus der Natur
Naturerlebnis und Medienbildung: Im Wald machen die Kinder mit Smart­phone oder Tablet Fotos und bestimmen die Pflanze danach mit einer App.

Auf dem Weg zum gemeinsamen Verständnis von Medienerziehung gibt es ein breites Spektrum an Sorgen und Nöten, dem Erzieherinnen und Erzieher begegnen. Überspitzt formuliert: Während es den einen Eltern gar nicht schnell genug gehen kann, ihre Kinder zu Tablet- und Smartphone-Experten zu machen, schaffen die anderen schon vor der Geburt den Fernseher aus Angst ab, ihre Kinder könnten in der motorischen, sprachlichen oder sozialen Entwicklung zurückbleiben. Deshalb müssten die Fachkräfte die Ängste identifizieren, sagt Theresa Lienau: „Dann wird es meist ein produktiver Austausch zwischen Eltern und Fachkräften.“

Ist erst einmal eine gemeinsame Ebene gefunden, lassen sich die Kritikpunkte meistens entkräften. Zum Beispiel: „Wir befürchten, dass die Kinder süchtig nach digitalen Medien werden!“ Die Fachkräfte sollten den Eltern erklären, dass das Gegenteil der Fall ist. Denn die Kinder finden in der Kita einen sicheren Rahmen für ihre Entwicklung vor. Sie haben nach wie vor eine enge Bindung zu ihren Bezugspersonen. Digitale Medien ersetzen diese Bezugspersonen nicht. Stattdessen setzen die Fachkräfte die digitalen Medien als Werkzeug ein, um Bildungsziele zu erreichen. Dazu gehört auch der reflektierte Umgang mit digitalen Medien. Oder diese Kritik: „Die Kinder bewegen sich zu wenig, weil sie nur vor dem Tablet hocken!“ Studien belegen zwar einen Zusammenhang zwischen Bewegungsmangel und digitalem Medienkonsum. Aber dabei geht es eben wieder um die Vorstellung des passiven Konsums. In der Kita dagegen werden Medien pädagogisch eingesetzt.

Theresa Lienau rät den Kitas deshalb dazu, den Eltern möglichst konkret zu erklären, wie digitale Medien genutzt werden. Zum Beispiel: Die Kinder nehmen Smartphones oder Tablets mit in den Wald, um damit Fotos von Pflanzen oder Tieren zu machen, die sie entdecken. Dann nutzen sie eine App, um die Pflanzen zu bestimmen. Ein Naturerlebnis gepaart mit Bewegung und Medienbildung! Oder die Kinder erstellen einen Stop-Motion-Film.

Kind hält Tablet und macht damit einen Stop-Motion-Film
Wenn die Kinder einen Stop­-Motion-­Film er­stellen, bekommen sie einen Eindruck davon, wie Medien entstehen. Außerdem wird ihre Kreativität angeregt.

Das kann ganz einfach auf dem Spielstraßen-Teppich passieren, indem ein Auto in wenigen Zentimetern Abstand an andere Stellen gesetzt und jedes Mal fotografiert wird. Lässt man die Fotos schnell hintereinander ablaufen, entsteht der Eindruck, das Auto würde sich bewegen. Auch dafür gibt es Apps, die das Erstellen des Trickfilms erleichtern. Die Kreativität der Kinder wird gefördert und außerdem ihre Vorstellung davon, wie Medien entstehen und dass sie von Menschen gemacht sind.

Digitale Medien sind in der Kita kein Selbstzweck

Kurzum: Digitale Medien sind in der Kita kein Selbstzweck, sondern Werkzeuge, die zum Erlernen von Kompetenzen eingesetzt werden. „Wir leben in einer digitalen Gesellschaft und dieses Thema muss man mit Kindern bearbeiten“, findet die Medienforscherin. Damit erst in der Schule zu beginnen, wenn die Kinder zwangsläufig mit digitalen Medien konfrontiert werden, sei zu spät. Dort müssten Kinder bereits in der Lage sein, kritische Situationen – etwa wenn sie in den sozialen Medien von Fremden angesprochen würden – einzuordnen. Kinder bräuchten dann in ihrem Umfeld Erwachsene, am besten die Eltern, als Ansprechpartner und nicht den erhobenen Zeigefinger („Ich habe dir doch gesagt, dass du nicht ins Internet sollst!“).

Manchen Eltern falle es allerdings schwer, sich dem Thema zu öffnen, weiß Theresa Lienau. Was oft auch an eigenen Unsicherheiten liege. Dabei muss digitale Medienerziehung gar nicht kompliziert sein. Ein einfacher Beitrag besteht für die Eltern schon darin, sich zu Hause mit dem Medienverhalten ihrer Kinder zu beschäftigen und zu fragen: `Warum gefällt dir diese Sendung? Was macht die Hauptfigur der Serie für dich so interessant? Was findest du so spannend an dem Spiel?´ Durch konstruktive, wertschätzende Kommunikation können Fachkräfte die Eltern dabei unterstützen – und damit den Grundstein für eine erfolgreiche Erziehungspartnerschaft im Bereich digitaler Medien legen, von der alle profitieren. Insbesondere die Kinder.

Tipp

Die Ergebnisse des Projekts „Medienerziehung im Dialog von Kita und Familie“ haben die Autoren Theresa Lienau und Matthias Röck in einer kostenlosen Broschüre und in einem Buch zusammengefasst. Die Broschüre „Handlungsempfehlungen für eine nachhaltige digitale Bildung als gemeinsame Aufgabe von Kita und Familie“ gibt es hier als PDF-Download: https://kurzelinks.de/p4jt

Das Buch „Nachhaltige digitale Bildung als gemeinsame Aufgabe von Kita und Familie – Gelingensbedingungen und Praxisempfehlungen“ und ist hier erhältlich: https://kurzelinks.de/6xee