„ Bewegung bedeutet Bildung“

KURZ GESAGT!

_ Zertifizierung bringt das Thema auf ein neues Level

_ Kinder lernen über Bewegung und Spielen

_ Die Bedeutung von Bewegung den Eltern zu vermitteln ist wichtig

Heute ist was los: Lina baut konzentriert mit den riesigen Bausteinen ein Flugzeug, Luisa schaukelt und wippt auf dem Schaumstoffring und die Jungs wetteifern, wer von ihnen am schnellsten die Rutsche hoch- und runterkommt. Malte hängt am Kletternetz und macht Faxen. Im Turnraum der Kita Argenthal bei Simmern in Rheinland-Pfalz gibt es Platz und Material für viel Bewegung. Klettern, hopsen, werfen, balancieren – alles ist möglich. Die Kinder können die meiste Zeit des Tages den Raum frei nutzen. „Das geht jetzt wieder“, freut sich Kitaleiterin Dajana Bartelmann-Henke. „Während Corona war hier auch ein Gruppenraum, da wir gezwungen waren, vom offenen Konzept in geschlossene Gruppen zu wechseln“, erklärt sie. „Das hat uns ziemlich eingeschränkt.“

Erst ein halbes Jahr vor den ersten Schließungen hatte sich das Team darauf verständigt, dem Thema Bewegung, das ohnehin schon immer präsent war, noch mehr Bedeutung zu geben: Warum sich nicht als Bewegungskita zertifizieren lassen? Die Idee brachte Sabine Baumgärtner, ehemalige Leiterin der Kita und jetzige pädagogische Leitung des Trägers Zweckverband Simmern, mit in die Runde. Überzeugungsarbeit leisten musste sie nicht: „Bewegung spielt hier schon immer eine Rolle. Eigentlich war es eine logische Konsequenz, der nächste Schritt“, erinnert sie sich.

Gut beraten und eng begleitet

Tatsächlich fällt auf, dass die Möblierung in den Gruppenräumen eher spärlich ist. Keine oder nur wenige Tische und Stühle. Viel Raum, viel Fläche, wenige Hindernisse und Stolperfallen. Über die breiten Flure sausen die Kinder auch mal mit Bobbycars.

Die Kita ist nicht neu, in den späten 1980ern gebaut, aber die Planer haben damals offenbar viel richtig gemacht. Das helle Gebäude liegt etwas abseits des Ortes an einem Wendehammer. Hier können die Kinder gefahrlos Rädchen fahren. Der Garten ist groß und die alten Bäume sind zum Klettern gut geeignet, genauso wie zahlreiche Spielgeräte, die es natürlich auch gibt. Auf Bäume klettern? „Ja klar. Wir sind doch immer dabei“, wundert sich Dajana Bartelmann-Henke über die Frage. „Kinder müssen sich ausprobieren. Wie sollen sie lernen, was sie sich zutrauen und was sie schaffen können, wenn wir sie von jeder erdenklichen Gefahr fernhalten?“ Aber, das gibt ihr Kollege Mathias Franz zu bedenken, man müsse das auch aushalten können. „Manche von uns können das weniger gut. Deshalb ist es wichtig, so etwas im Team anzusprechen und zu berücksichtigen.“ Das sei die Grundlage, auf der die Fachkräfte arbeiten müssen, damit sie aufgrund eigener Befindlichkeiten die Kinder in ihrer Bewegung nicht wieder einschränken.

Kitaleiterin Bartelmann-Henke bedauert es, dass in den Familien immer weniger auf Bewegung Wert gelegt werde. „Das hat auch was mit der Pandemie zu tun“, ist Mathias Franz überzeugt. Deshalb sei es umso wichtiger, in der Kita einen Fokus darauf zu setzen und beispielweise auch bei Wind und Wetter rauszugehen. Auch seien die Eltern durch die Einschränkungen der Pandemie unsicherer geworden, was sie ihren Kindern zutrauen könnten, hat Sabine Baumgärtner beobachtet. Deshalb sei Elternarbeit auch in puncto Bewegung wichtig. „Kitas sind Bildungseinrichtungen. Bildung heißt für viele Eltern aber eher ,Input‘ und nicht Bewegung.“ Dabei lernen Kinder in erster Linie über Bewegung, Forschen und Spielen. Bewegung bewirke ganz viel in der Hirnentwicklung. „Unsere Aufgabe ist es, darüber zu informieren“, sagt Mathias Franz. Ein Elternabend dazu stehe noch auf der Agenda. In den Entwicklungsgesprächen sei es jedoch immer Thema.

Auch wenn Bewegung schon immer ein wichtiger Bestandteil der pädagogischen Arbeit war, hat die Entscheidung für den Erwerb des Qualitätssiegels den Blick nochmals geschärft. „Wir denken Bewegung jetzt viel stärker in allen Prozessen mit und sind uns dessen viel bewusster“, verdeutlicht der Pädagoge. Das habe dazu geführt, dass sich das Team fortwährend mit dem Thema auseinandersetzen müsse. Außerdem hat nun jede Gruppe, selbst die Krippenkinder, eine angeleitete Bewegungsstunde in der Woche. „Das ist noch mal ein Meilenstein. Die Kinder freuen sich total darauf und fragen gleich morgens: Haben wir heute Turntag?“

Auch wenn heute für die „Schukis“, wie in der Kita Argenthal die Vorschulkinder genannt werden, kein Turntag ist, so tummeln sich doch einige von ihnen noch immer in der Turnhalle. Aus Linas Flugzeug ist inzwischen eine Burg geworden, die Rutsche ist verlassen, stattdessen werfen sich die Kinder mit vielen weichen Bällen ab. Malte ist es etwas zu viel geworden, er hat sich ein Nest aus Riesenbauklötzen gebaut, in das er sich zurückgezogen hat und von wo aus er die anderen Kinder beobachtet. Was Lina und Luisa am tollsten im Turnraum finden? „Alles!“, rufen beide, bevor sie losflitzen, um die Bälle einzusammeln. Ihre Burg muss schließlich verteidigt werden.

TIPP

In den meisten Bundesländern gibt es Programme, oft in Zusammenarbeit mit den Landessportverbänden und Unfallkassen, die Kindertageseinrichtungen als bewegungsfreundlich auszeichnen. Dazu müssen diese bestimmte Kriterien erfüllen. Ziel ist die Förderung der ganzheitlichen kindlichen Entwicklung durch Bewegung und Spielen. Ist das für Ihre Kita interessant? Hier finden Sie Infos, an wen Sie sich in Ihrem Bundesland für Unterstützung wenden können:

www.kinderkinder.dguv.de/bewegungs-programme

 

Bewegungs-Programme für Kitas

Baden-Württemberg:

Kitas können sich über diese Angebote qualifizieren. Es gibt kein „offizielles“ Gütesiegel.

Kinderturnstiftung: bietet Fortbildungen gezielt für pädagogische Fachkräfte in Kitas an. https://www.kinderturnstiftung-bw.de/bewegter-kindergarten/

Bewegungspass: das regionale Netzwerk in vielen Kreisen in BW hat für pädagogische Fachkräfte ein innovatives Unterstützungsangebot mit Weiterbildungsmöglichkeiten entwickelt: https://www.bewegungspass-bw.de/kitas/

Bayern:

Über die Bayerische Sportjugend können Kindertageseinrichtungen Förderungen für unterschiedliche Projekte bekommen. Es gibt aber keine speziellen Zertifizierungen/Gütesiegel.

https://bsj.org/index.php?id=themen_projekte

Allerdings gibt es von der Universität Bayreuth die Kita-Check-App QueB, mit der man online herausfinden kann, ob die Voraussetzungen der Kita für einne möglichst bewegungsfreudigen Alltag geeignet sind: https://queb.eu/kca.html

Berlin:

In Berlin gibt es keine zentrale Zertifizierung. Einige Bezirke nennen „bewegungsfreundliche Kitas“. Ansprechpartner auf der bezirklichen Ebene gibt es über das Landesprogramm „Gute gesunde Kitas“ unter https://gute-gesunde-kitas-in-berlin.de

Brandenburg:

Die Brandenburgische Sportjugend verleiht gemeinsam mit dem Bildungsministerium geeigneten Kitas das Gütesiegel „Bewegungskita“.

https://sportjugend-bb.de/guetesiegel-bewegungskita/

Bremen:

In Bremen ist ebenfalls die Sportjugend für die Zertifizierung von „anerkannten Bewegungskindergärten“ zuständig, die Unfallkasse Bremen unterstützt das Projekt finanziell:

https://www.bremer-sportjugend.de/Themen/Bewegungskindergarten/Index.aspx

Hamburg:

In der Hansestadt gibt es sogar zwei Auszeichnungen, die Kindertageseinrichtungen erhalten können: „Bewegte Kita“ und“ Bewegungskita+“. Zuständig ist das Landessportamt, das mit dem Verband für Turnen und Freizeit und der Hamburger Sportjugend kooperiert.

https://www.hamburg.de/bewegte-kita/

https://www.hamburger-sportjugend.de/kita-schule/bewegungskita-plus

Hessen:

In Hessen können Einrichtungen das Qualitätssiegel „Hessischer Bewegungskindergarten“ bekommen, wenn bestimmte Kriterien erfüllt sind. Partner sind dabei die Sportjugend Hessen und das Ministerium für Inneres und Sport.

https://www.sportjugend-hessen.de/kindergarten/qualitaetssiegel/

Zudem gibt es von der Unfallkasse Hessen Bildungsangebote zur Bewegungsförderung in Kitas, z. B. „Mehr Sicherheit durch Bewegung“.

https://www.ukh.de/seminare/seminar/mehr-sicherheit-durch-bewegung

Mecklenburg-Vorpommern:

Die Sportjugend M-V bietet diverse Fortbildungen für Fachkräfte an und unterstützt Einrichtungen dabei, lokale Kooperationen mit Sportvereinen zu schließen. Es gibt kein offizielles Gütesiegel.

https://www.sportjugend-mv.de/bewegungsfoerderung/uebersicht-kita-verein/

Niedersachsen:

In Kooperation mit dem Niedersächsischen Kultusministerium, dem Landessportbund Niedersachsen, dem Niedersachsen Turnerbund und der AOK sind die Landesunfallkasse Niedersachsen und die Gemeinde-Unfallversicherungsverbände Hannover und Oldenburg seit 2005 an der Umsetzung des Bewegten Kindergartens beteiligt: Bewegter Kindergarten – Für mehr Bewegung im Kitaalltag (www.bewegter-kindergarten.de)

Das dreiteilige Programm zur Bewegungs-förderung in Kitas umfasst neben der Vergabe des „Markenzeichens Bewegungskita“ und der Förderung der Kooperation mit Sportvereinen vor Ort auch die Qualifizierung pädagogischer Fachkräfte:

Nordrhein-Westfalen:

In NRW gibt es seit 1999 das Gütesiegel „Anerkannter Bewegungskindergarten“. Vergeben wird es von der Landessportjugend und dem Land. Eine der Voraussetzungen dafür ist die Kooperation mit einem örtlichen Sportverein.

https://www.sportjugend.nrw/unsere-themen/bewegungskindergarten-1

Rheinland-Pfalz:

Hier können Kitas das Qualitätssiegel „Bewegungskita Rheinland-Pfalz“ erhalten. Sie werden durch die Qualifizierungsphase begleitet durch den Verein „Bewegungskindertagesstätte Rheinland-Pfalz e.V.“., dem auch die Unfallkasse RLP angehört.
https://www.bewegungskita-rlp.de/

Saarland:

Im Saarland gibt es ein Programm namens „Kindergarten Kids in Bewegung“, das die Bewegung der Kinder nachhaltig fördern will. Dazu sind Kooperationen mit örtlichen Vereinen wichtig. Unterstützt wird das Programm u.a. vom Landessportverband Saarland und der Unfallkasse Saar. Ein Qualitätssiegel ist nicht bekannt.

https://www.lsvs.de/sportwelten/breitensport/kindergarten-kids-in-bewegung

Sachsen:

Die Unfallkasse Sachsen bietet mit dem Projekt „Mach mit – werd Murmel-fit“ Kindertageseinrichtungen vielfältige Spiel- und Bewegungsideen für die tägliche Arbeit. Gekoppelt ist Murmel fit an den Besuch des gleichnamigen Seminars.
https://www.uksachsen.de/informationen-service/projekte/murmel-fit

Darüber hinaus können sich sächsische Kitas von der Unfallkasse als „Kita mit Herz“ auszeichnen lassen, wenn sie sich in besonderer Weise der Gesundheitsförderung widmen.

https://www.uksachsen.de/informationen-service/kita-mit-herz

Sachsen-Anhalt:

In Sachsen-Anhalt fördert die AOK das Programm „Bewegte Kita“, für das sich die Einrichtungen anmelden können.

https://www.deine-gesundheitswelt.de/sport-bewegung/bewegtekita

Zusammen mit der Unfallkasse Sachsen-Anhalt vergibt die Landesvereinigung für Gesundheit Sachsen-Anhalt e.V. das Zertifikat „Gesunde Kita“, das auch den Bereich Bewegung berücksichtigt.

Schleswig-Holstein:

Kitas können hier das Gütesiegel „Anerkannter Bewegungskindergarten“ erhalten, das von der Sportjugend Schleswig-Holstein verliehen wird.

https://www.sportjugend-sh.de/kinder-und-jugendsport/kinder-in-bewegung/qualitaetssiegel-fuer-bewegungskitas/

Thüringen:

Der Landessportbund Thüringen verleiht gemeinsam mit der Thüringer Sportjugend sowie in Zusammenarbeit mit der Unfallkasse Thüringen und weiteren Partnern das Qualitätssiegel „Bewegungsfreundliche Kita“.

https://www.thueringen-sport.de/unsere-themen/kinder-und-jugendsport/bewegungsfreundlicher-kindergarten/

Stand: 17.04.2023