Altersgemischte Teams

Welche Vorteile bietet es, wenn jüngere und ältere Fachkräfte in einem Team zusammenarbeiten?

Aus den Erfahrungen und der Routine der älteren Generation kann gepaart mit den frischen Ideen der jünge­ren Beschäftigten eine tolle Energie entstehen. Man profitiert voneinander und die Kita bleibt beweglich. Auch die unterschiedlichen Werte der Generationen können einen Mehrwert darstellen. Loyalität und Kollegialität sind tief verwurzelt in den Biografien der älteren Erzieherinnen und Erzieher, bei den jüngeren sind es Werte wie Selbstfürsorge. Den Älteren würde manchmal mehr Selbstfürsorge guttun, weil sie dazu neigen, sich selbst zu vergessen und sich zu verausgaben. Den Jüngeren kann es helfen wahrzunehmen, wie schön es ist, sich aufeinander verlassen zu können.

Das klingt in der Theorie gut, ist in der Praxis aber sicher nicht immer so einfach.

Die Vorteile sind auch gleichzeitig Spannungsfelder. Vor allem, wenn man nicht offen ist füreinander. Wenn die alten Hasen sagen: „Das haben wir schon immer so gemacht“, oder die Neulinge sich nicht trauen, ihren Platz zu erkämp­fen. In einer Supervision hatte ich zum Beispiel ein Team mit einer Auszubildenden. Sie hatte eine tolle Idee, weil viele Eltern trotz Bitten der Kita die Kleidung ihrer Kinder nicht mit Namen beschriftet hatten: Sie wollte beim nächs­ten Elternabend alle Kleider ohne Beschriftung zu einem Kleiderberg türmen, um den Eltern das Problem vor Augen zu führen. Aber die Auszubildende fühlte sich nicht wahrge­nommen.

Wie gelingt die Zusammenarbeit in altersgemischten Teams?

Es gibt den Ansatz der „kritischen Lerngemeinschaft“. Dem­nach sollten die Aufgaben und Verantwortlichkeiten so ver­teilt sein, dass sie den Stärken der Beschäftigten entspre­chen. Alle haben dabei die Aufgabe, sowohl Lehrer als auch Lehrling zu sein. Wichtig ist, zu reflektieren und sich gegen­seitig Feedback zu geben. Und zu fragen: „Warum hast du das jetzt auf diese Weise gemacht?“ Und zwar als offene Frage, um eine andere Herangehensweise zu verstehen und womöglich dazuzulernen, und nicht als Vorwurf. Außerdem sollte man eigene Vorurteile hinterfragen. Es stimmt zum Beispiel oft nicht, dass ältere Fachkräfte nicht offen sind gegenüber der Digitalisierung.

Welche Rolle spielt die Kitaleitung?

Eine offene Kommunikationskultur steht und fällt mit der Kitaleitung. Sie hat eine Vorbildfunktion. Trotz der ange­spannten Personalsituation sollte die Kitaleitung ver­suchen, feste Teams zu etablieren. Gerade Teams mit Neulingen sollten genügend Zeit haben, Vertrauen zueinander aufzubauen, Strukturen abzuspre­chen sowie Rollen und Aufgaben zu verteilen. 

Die Fragen stellte Holger Schmidt

Wie aus Belastungen Herausforderungen werden

KURZ GESAGT!

_Belastungen in Kitas sind vielschichtig

_Resilienz ist nur teilweise Veranlagung und lässt sich verbessern

_Team und Leitungskultur sind entscheidende Faktoren

Personalknappheit, ungenügende Ausstattung des Kitas, Lärm, ergonomische Belastungen, hoher Aufwand für Verwaltung und Dokumentation, gestiegene Erwartungshaltung der Eltern hinsichtlich Transparenz, Mitbestimmung und Öffnungszeiten, aber auch das Einkommen und geringe Aufstiegsmöglichkeiten: „Es gibt nicht die eine große Belastung. Es sind viele verschiedene Herausforderungen, die für die pädagogischen Fachkräfte in der Summe das Problem ausmachen“, sagt Verena Hombücher, Referentin bei der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW).

Und dann kam 2020 auch noch Corona. „Das hat wie ein Brennglas gewirkt und die ohnehin schon schwierige Situation in Kitas noch schwieriger gemacht“, weiß Verena Hombücher, die am BGW-Trendbericht 2022 über die Situation in der Kinder- und Jugendhilfe als Autorin mitgewirkt hat. Nicht von ungefähr trägt der Bericht den Namen „Zukunftsweisende Entwicklungen zwischen Lockdown und Knock-down“. Zahlen, Daten und die Interviews mit den Führungskräften „zeigen eine Branche am Limit“, heißt es dort.

Kein Wunder also, dass sich viele Kitaleitungen und Fachkräfte nicht nur gefordert, sondern manchmal auch überfordert füh-len. Um mit den Belastungen und dem Stress umgehen und sich davon erholen zu können, braucht es eine stabile psychische Widerstandskraft. Die sogenannte Resilienz.

Eine gute Nachricht dazu haben die Erziehungswissenschaftlerin Dr. Katrin Lattner und die Psychologin Prof. Dr. Petra Strehmel von der Bundesarbeitsgemeinschaft Bildung und Erziehung in der Kindheit (BAG-BEK): Resilienz ist keine Veranlagung, sondern ein Produkt der Sozialisation und eigenen Erfahrungen – und sie lässt sich verbessern. Die weniger gute Nachricht: Allein wird das schwierig.

„Wichtig ist eine gute Organisationskultur, in der Erzieherinnen und Erzieher die Gelegenheit haben, selbst etwas zu bewirken“, sagt Petra Strehmel. Politik und Trägern komme dabei die Schlüsselrolle zu, weil sie die Rahmenbedingungen vorgäben. Die Kitaleitungen könnten aber ihren Teil beitragen, indem sie den Fachkräften Raum zur Entfaltung und Mitbestimmung geben, ihnen Wertschätzung entgegenbringen und für eine gute Teamkultur sorgen würden. Denn: „Im Beruf Resilienz zu entwickeln, hängt stark von den Arbeitsbedingungen ab.“ Dazu zählt auch, um Hilfe zu bitten und diese anzunehmen, wenn die Belastungen zu groß werden. Oder sich umgekehrt selbst einzubringen, um Kolleginnen und Kollegen zu unterstützen.

Herausforderungen lassen sich meistern


„Das Team ist die Top-Ressource für die Fachkräfte“, erklärt Katrin Lattner. Unterstützen sich die Erzieherinnen und Erzieher gegenseitig, werde eine Situation weniger als Belastung, sondern eher als Herausforderung begriffen. Und die lassen sich gemeinsam meistern, indem jede und jeder Einzelne eigene Fähigkeiten zum Nutzen aller einbringe. „So kann man die Ressourcen der einzelnen Fachkraft und auch die des Teams stärken“, sagt Katrin Lattner.

Auf der persönlichen Ebene können Erzieherinnen und Erzieher auch etwas tun, um ihre Resilienz zu stärken. Sich der eigenen Bewertungen, Glaubenssätze und inneren Antreiber bewusst zu werden und in gesundheitsförderliche Denkmuster zu überführen, sei ein Ansatz, sagt Katrin Lattner. Also zu hinterfragen: Was stresst mich? In welcher Situation? Warum? Und dann zu schauen: Wie kann ich anders damit umgehen? Was könnte mir helfen? „Wenn eine Fachkraft permanent den Drang hat, alles perfekt zu machen, setzt sie die Erwartungshaltung an sich selbst in einer Krisensituation noch zusätzlich unter Druck“, gibt die Wissenschaftlerin ein Beispiel. In dem Fall hieße das, die eigenen, überhöhten Ansprüche zu überdenken und zurückzuschrauben.

Zeit nehmen für positive Gefühle


Einfacher gesagt als getan. Die eigene Einstellung in Richtung Zielorientierung und positive Emotionen zu verändern, ist ein langwieriger Prozess. Auf individueller Ebene ist er kaum zu bewältigen. „Die Organisation der Kita muss als Ganzes so entwickelt werden, dass es den einzelnen Fachkräften guttut“, sagt Petra Strehmel. Coachings, Supervisionen und Teamtage seien geeignete Instrumente dafür. Die Erzieherinnen und Erzieher könnten sich so über Aufgaben und Erfahrungen austauschen, die sie an ihre Grenzen gebracht hätten. Wichtig sei es, sich auch für positive Gefühle Zeit zu nehmen, ergänzt Katrin Lattner. Stolz darauf zu sein, was man geschafft habe, es innerhalb des Teams wertzuschätzen und Erfolge gemeinsam zu feiern: „Je mehr ich über Positives spreche, desto mehr löscht es negative Emotionen und Ängste.“

Tipp!

Der Trendbericht 2022 steht auf der Webseite der BGW zum Download bereit:
https://kurzelinks.de/iwic

Das kompetente Team

Ein Kitateam ist verunsichert, ob es ausreichend gut geschult im Umgang mit traumatisierten Kindern ist. Was ist Ihr Rat?

Es ist sinnvoll, sich mit dem Thema Trauma bewusst aus­einanderzusetzen, schon bevor es akut wird. Es hilft zu reflektieren, welche Vorerfahrungen und welches Wissen es dazu bereits gibt – im Gesamtteam, aber auch von Ein­zelnen, etwa durch andere berufliche Stationen. Doch auch in ihrer täglichen Arbeit leisten Kitateams schon sehr viel, was diesen Kindern guttut, sodass sie sich willkommen und geborgen fühlen können.

Was hilft dem Team noch?

Ich rate dazu, Listen anzufertigen mit geeigneten Bera­tungsstellen, Psychologen oder Psychotherapeutinnen und so weiter. Alles sammeln und die Telefonnummern und E­-Mail­-Kontakte aktuell halten. So hat man im Notfall direkt etwas, worauf man schnell zurückgreifen oder das man den Familien an die Hand geben kann.

Ist es für die tägliche Arbeit wichtig, mehr über die körperlich-seelischen Auswirkungen eines Traumas zu wissen?

Es kann auf keinen Fall schaden, wenn Fachkräfte eine grundsätzliche Vorstellung davon haben, was genau im Körper eines traumatisierten Menschen passiert. So entwickeln sie ein Verständnis für das Verhalten und dadurch mehr Feingefühl im Umgang mit dem betroffenen Kind. Aber wie tief ein Team in die Thematik einsteigt, liegt in dessen Ermessen. Genauso wie die Frage, wie viel Zeit das Team dafür investieren möchte oder kann. Es gibt dazu viele Ange­bote: von zweistündigen Online­-Seminaren bis hin zu mehr­tägigen Fortbildungen.

Reicht das aus, um ein kompetentes Team zu sein?

Ich denke, ja. Die Einrichtung kann und soll nicht therapeu­tisch arbeiten. Es geht darum, dem Kind einen guten und sicheren Rahmen zu bieten, in dem es wieder Kind sein kann. Das ist das Wichtigste und passiert in den Einrichtun­gen ja jeden Tag ganz automatisch.

„Reden, reden, reden“

In einigen Kitas spürt man direkt, dass sich das Team super versteht. Wovon hängt ab, ob die Kolleginnen und Kollegen gut miteinander auskommen?

Das ist kein Zufall, sondern Ergebnis langjähriger, kontinuierlicher Arbeit. In einem Team kommen viele verschiedene Persönlichkeiten zusammen. Wichtig ist, dass die Rollen und Aufgaben klar verteilt sind. Außerdem kommt es darauf an, die Stärken und Ressourcen anzuerkennen. A und O ist eine gute Feedbackkultur. Dazu gehört, gemeinsam Regeln aufzustellen: Wie gehen wir damit um, wenn wir bei einer Kollegin etwas beobachten, das wir nicht in Ordnung finden? Dabei sollten wir stets zuerst davon ausgehen, dass die Kollegin gute Gründe hat – und das Verhalten nicht bewerten.

In der Praxis gar nicht so einfach: Wie sage ich der Kollegin am besten, dass sie sich nicht immer um die Dienste im Garten drücken soll?

Am besten persönlich ansprechen. Und zwar nach dem Leitfaden der gewaltfreien Kommunikation. Das heißt, sich um Ich-Botschaften bemühen, also wertfrei sagen: „Ich habe beo-achtet, dass du eher drinnen bleibst.“ Im zweiten Schritt gilt es, die eigenen Gefühle zu artikulieren: „Ich merke, dass mich das ärgert.“ Dabei sollte ich erklären, was mich daran stört: Fühle ich mich draußen allein mit den Kindern überfordert? Oder bin ich selbst nicht gern im Garten? Im letzten Schritt kann ein Kompromiss angeboten werden, stets verbunden mit Rückfragen: „Wie siehst du das?“

Warum fällt uns so etwas oft schwer?

Oft steckt dahinter die Angst, sich unbeliebt zu machen oder dass jemand böse ist. Alles wird ins Harmoniepaket gepackt, sodass gar keine Lösung miteinander gefunden wird. Das hat viel mit der eigenen Biografie zu tun: Wie habe ich selbst gelernt, mit Konflikten umzugehen? Eine Erzieherin ist zum Beispiel stets Konflikten aus dem Weg gegangen. Sogar wenn sie darauf angesprochen wurde, sagte sie, es sei alles in Ordnung. Der Grund: Als sie in einer Kita offen Kritik geäußert hatte, war ihr Mobbing vorgeworfen worden. Eine andere Erzieherin realisierte in der Supervision, dass bei ihr zu Hause früher nie Konflikte ausgetragen wurden. So etwas ist mit viel Zündstoff verbunden.

Was tun, wenn ich die Situation ganz anders wahrnehme als meine Kollegin?

Jeder hat seine Sicht auf die Dinge, das ist völlig normal. Ein Problem entsteht erst, wenn beide Seiten beanspruchen, recht zu haben. Deshalb ist wichtig, im Team so viel Feedbackkultur wie möglich zu entwickeln. Zu einer guten Fachkraft gehört meiner Meinung nach dazu, sich auf Selbstreflexion einzulassen.

Wie kann so etwas gefördert werden?

Dafür eignet sich zum Beispiel die Marte-Meo-Methode. Dabei werden kurze Alltagssituationen per Video aufgenommen: wie eine Erzieherin einem Kind die Jacke anzieht oder bei einem Streit vermittelt. Das Team wird in der Reflexion geschult: Wie sah der Blickkontakt aus? Wie die Körperhaltung? Dabei geht es nicht darum, Defizite zu entdecken. Der Fokus liegt auf den Stärken: Was läuft gut – und könnte noch besser werden? Was zählt, ist die Haltung.

Gibt es für den Einstieg etwas niedrigschwelligere Methoden?

Sinnvoll ist zu Beginn jeder Teamsitzung eine kurze Blitzlichtrunde: Was beschäftigt jede Fachkraft gerade? Wie geht es ihr? So entwickelt man mehr Verständnis füreinander. Das muss gar nicht lang sein. Doch so eine Viertelstunde bringt unglaublich viel – und zeigt auch, welcher Stellenwert der Teamarbeit beigemessen wird.

Welche Tipps gibt es noch?

Voraussetzung ist, sicher miteinander zu werden. Dafür sollte man sich bewusst machen, was man aneinander schätzt. Jeder kann zum Beispiel seinem rechten Sitznachbarn ein paar nette Worte sagen. Oder bei der „warmen Dusche“ ist der Fokus auf eine Person gerichtet. Ich erlebe oft, dass Leute dabei richtig aufblühen. Andere können Lob schlecht aushalten. Warum ist das so? Da ist man direkt mittendrin in einer Diskussion.

Welche Rolle kommt der Kitaleitung dabei zu?

Alles steht und fällt mit der Leitung. Ich beobachte immer wieder: Wo es wunderbar funktioniert, hat es viel mit der Kompetenz der Leitung zu tun – oder zumindest mit der Bereitschaft, Unterstützung von außen zu holen, wenn sie nicht weiterkommt. Dabei ist es sinnvoll, nicht erst zu warten, bis das Kind in den Brunnen gefallen ist. Regelmäßige Sitzungen mit einem Coach oder eine Supervision tragen viel zum guten Klima bei.

Worauf sollte die Leitung im Alltag achten?

Reden, reden, reden. Viel Zeit in Teamsitzungen wird auf Wochen- und Jahresplanungen verschwendet, dabei wird zum x-ten Mal das Laternenfest geplant. Dabei wäre es viel wichtiger, sich mit sich als Team zu beschäftigen. Dazu gehört zu überlegen, in welcher Teamphase man sich gerade befindet: Hat zum Beispiel eine Kollegin neu angefangen? Welche Unterstützung braucht sie?

Vor allem die ersten beiden Wellen der Coronakrise waren für die Teams in Kitas eine schwere Zeit. Worauf kommt es jetzt besonders an?

Viele haben die Nase so voll, dass sie gar nicht zurückblicken wollen. Doch wichtig ist eine Krisenbewältigung, darüber zu sprechen, wie schwer die Zeit war – aber auch darüber, was man gemeinsam gemeistert hat. Prinzipiell gilt: Teams, die gut funktionieren, bewältigen auch Krisen viel besser.